MESSAGES FROM GAZA NOW – auf Deutche

Voices from Gaza Now

Die Übersetzungen sind eine Zusammenarbeit von Leila Schulz-Thierbach, Sana Rizvi, Erica Fischer und J.K. Langford.

1) Hossam Madhoun in Gaza: Third day of the war 2.22 am

Versuch zu schlafen. Weiß nicht wie, ständig Bomben, Geräusche von Bomben gemischt, Geräusche von Bomben in der Ferne, noch weiter entfernte Geräusche, Geräusche nicht weit weg, aber auch nicht in der Nähe, Geräusche in der Nähe, aber ohne Auswirkung auf das Gebäude, sehr nahe Geräusche und das Gebäude wackelt, die Fenster wollen hinaus aber irgendetwas, ich weiß nicht was, hält sie fest. Vielleicht halten sie beim nächsten Bombenangriff nicht mehr an Ort und Stelle und fliegen zerbrochen auf einmal, aber bisher noch nicht.

Nach drei Tagen mit der gleichen erschreckenden Atmosphäre, kein Schlaf, meine Augen fallen zu. Doch mein Kopf schüttelt mich, um wach zu bleiben, nie wissend, was passieren wird, nie wissend, ob uns der nächste Bombenangriff erwischt oder uns zwingt, wie Tausende, die bereits ihre Häuser evakuiert haben, zu evakuieren.

Wir haben eine “Fluchttasche” vorbereitet, aber die Vorstellung, zu evakuieren, ist ein Albtraum. Mit meiner behinderten 83-jährigen Mutter im Rollstuhl, meinem verängstigten Hund, aber natürlich mit meiner starken Frau.

Aber wir haben noch nicht vorbereitet, wohin wir evakuieren sollen. Wohin sollen wir gehen? Die Auswahlmöglichkeiten sind gleich null. Jede Bewegung in Richtung anderer Familienmitglieder in anderen Städten ist bereits ein Selbstmordversuch. In unserer Nähe nehmen bereits viele Freunde ihrer Familienmitglieder auf. Vielleicht wäre das Verbleiben im Auto eine Option? Wir wissen es wirklich nicht.

Ja, ich habe angefangen, zu versuchen, einzuschlafen. Okay, wieder der Versuch, um 2.22 Uhr einzuschlafen.

Ich denke, es ist mir gelungen. Um 4:37 Uhr rief meine Frau Abeer meinen Namen. Ich hörte meinen Namen, als käme er aus großer Entfernung. Wieder ruft Abeer meinen Namen. “Was?” sagte ich und hielt meine Augen immer noch geschlossen.

“Es klopft an der Tür”, sagt sie. Ich öffne meine Augen, sehe nichts, völlige Dunkelheit. Kein Strom, kein Notstromaggregat, kein schwaches Licht von der Straße. Dunkel.

Ich sagte: “Es klopft nicht.” Sie sagte: “Hör mal.” Ich horchte. Ein leises Klopfen an der Tür. Nahm mein Handy, öffnete die Taschenlampenoption und bewegte mich zur Haustür. Das leise Klopfen setzte sich fort.

“Wer ist da?”

“Saleh’s Mutter (unsere Nachbarin aus dem fünften Stock)

(Ohne die Tür zu öffnen) “Was ist los, Om Saleh?”

“Es ist Salma, deine Tochter im Libanon. Sie hat stundenlang versucht, dich zu erreichen, und als es nicht gelang, hat sie meine Nichte in Jordanien angerufen, die mich angerufen und gebten hat, dich zu erreichen. Sie ist so in Panik, weil du nicht antwortest.”

“Dankeschön, Om Saleh.”

Versuche, Salma anzurufen, es ist unmöglich, kein Internet, keine Handys seit gestern um 23 Uhr, als die israelische Luftwaffe das Telekommunikationsunternehmen bombardiert hat.

Salma, unsere einzige Tochter, die zum ersten Mal in ihrem Leben von uns getrennt ist, ist seit einem Monat in Libanon für ihren Masterdiplom. Ich werde ganz frustriert, muss einen Weg finden, sie zu kontaktieren, sie zu beruhigen. Ich weiß, dass sie zusammenbrechen wird, wenn sie nichts von uns hört. Sie hat bereits darüber nachgedacht, ihren Master abzubrechen und zu uns zurückzukehren.

Währenddessen geht das Bombardement weiter. Der Hund klammert sich aus Angst an mich, meine Mutter wacht auf und bittet darum, auf die Toilette zu gehen. Und ich versuche zu überlegen, was zu tun ist.

Versuche, Salma auf dem Handy anzurufen, alle Anrufe scheitern. 

Ich gehe in den Keller des Gebäudes, wo sich mindestens sechs Familien aus den oberen Stockwerken des Gebäudes versammelt haben.

Ich frage, ob es irgendeine alternative Möglichkeit für Internet oder Kommunikation gibt. Sie sagen: “Nein, wir alle haben dieses Privileg verloren.”

Der Gebäudewächter sagte: “Wenn du aus dem Gebäude gehst, könntest du vielleicht ein Signal bekommen.”

Rausgehen? In dieser Dunkelheit? Auf der Straße? Während jede einzelene Sekunde Bomben einschlagen, niemand weiss, wo es passiert und was die Ziele sind?

Es hat mich allerdings null Zeit gekostet. Ich bin in die Richtung gegangen, die der Wächter mir gesagt hat, habe versucht anzurufen, es klappt nicht, bewege mich weiter und versuche es wieder, klappt wieder nicht, bewege mich wieder weiter und versuche es wieder. Nach mindestens 17 Versuchen klingelte das Handy am anderen Ende. Salma, ja, endlich.

Sie sagte nichts. Sie fiel in tiefes Weinen. Ich verstand. Ich konnte mir vorstellen, was sie während dieser Stunden ohne Kontakt mit uns, durchgemacht hat. Ich ließ sie weinen. Ich wollte so sehr weinen, ich konnte aber nicht, durfte nicht.

“Was ist los, Salma, wir sind okay, wir leben noch, du weißt doch, die Kommunikation ist unterbrochen.”

Ich weiß wirklich nicht, was ich sagte, bis sie sich beruhigte. 

Dann ging sie zu ihrer Universität, und ich ging zurück, um mit Abeer zu überlegen: Wenn wir evakuieren müssten, wohin sollten wir gehen????

Es ist 9:45 Uhr. Ich habe diesen Beitrag beendet.

Nachrichten von Salma Madhoun in Beirut an Jonathan Chadwick in London:

“Meine Familie hat seit gestern kein Internet mehr, also haben wir beschlossen, dass sie mir alle zwei Stunden eine SMS schicken, um mich zu beruhigen, dass es ihnen gut geht. 

Bis ich die Nachricht bekomme, werde ich vor Angst meine Organe erbrechen. Möge Allah sie schützen und sicher halten.”

Dann später:

“Ich fühle mich schuldig, dass ich in Sicherheitbin!

Dan später: 

Ich denke, dass die Tauben, die an meinem Fenster vorbeifliegen, Raketen sind, die mich  ermorden werden.

Dann schrieb sie:

Es gibt keine Medienberichterstattung, mehr als sieben Journalisten wurden getötet, es gibt keinen Strom, kein Internet, keine Helplines oder Wasser, und keine Hilfe  darf  den Gazastreifen betreten. Heute ist Gaza nicht nur ein offenes Gefängnis; es ist auch ein abgeriegelter Bereich des Völkermords.

Diese Aggression schließt niemanden aus, nicht einmal Kinder. Ich frage mich, wie sie eine so aggressive Besatzungspräsenz bedrohen. Unschuldige Menschen, Zivilisten, Frauen und Kinder werden auf schlimmste Weise getötet. Sie sehen, wie ihre Familien und geliebten Menschen vor ihren Augen sterben.

Medizinisches Personal sehen die Leichen ihrer Familienmitglieder unter den Opfern, die sie zu helfen versuchen. Zahlreiche Krankenhäuser im Gazastreifen haben aufgrund von gezielten Bombenangriffen auf die Krankenhäuser komplett den Betrieb eingestellt, und sogar Krankenwagen wurden angegriffen. Diese feindselige Besatzung will nicht, dass die Verletzten behandelt werden; ihr explizites Ziel ist es, die Stadt und die Zivilisten darin verschwinden zu lassen. Die Zivilverteidigung und das Rote Kreuz können die Massaker nicht erreichen und der Menge von Menschen helfen, die dieser Aggression ausgesetzt sind. Menschen weinen und rufen unter den Trümmern um Hilfe, ohne jegliche Unterstützung.

Wo ist die internationale Gemeinschaft, die versucht, das Humanitäre Völkerrecht umzusetzen? Warum haben die Vasallen immer noch Angst ? Verschliessen ihre Augen und halten den Mund?Was sollte die Länder und den allgemeinen Willen bewegen, wenn nicht ein Massenmord??

Ich habe Gaza vor einem Monat verlassen, um in Libanon für einen Master zu studieren. Diese Entscheidung war schwer zu treffen, weil in Gaza kann jederzeit jedem jegliches passieren. Aber meine Eltern unterstützten mich, und ich reiste , um an einem herausragenden College eine bessere Ausbildung zu bekommen.

Und jetzt bin ich 300 Kilometer von meinen Eltern entfernt, aber es fühlt sich an wie Millionen, da eine Rückkehr nach Gaza fast unmöglich ist. Die Entfernung verstärkt mein Gefühl der Ohnmacht, während ich mich danach sehne, bei meiner Familie zu sein.

WARUM HABE ICH GEDACHT, DASS DAS REISEN AUF DER SUCHE NACH EINER BESSEREN BILDUNG EINE GUTE IDEE IST? UND NUN WERDEN MEINE FAMILIE UND FREUNDE ANGEGRIFFEN, UND MEIN SCHICKSAL, UNTER DIESER FEINDLICHEN BESATZUNG ZU LEBEN, WIRD MICH NIE VERLASSEN.

***

2) Hossam Madhoun im Gazastreifen: Sechster Tag des Krieges, 2:22 Uhr

Was für ein Zufall! 

Wie kommt es, dass es dieselbe Uhrzeit ist, wie am Tag 3? 

Um 2:22 Uhr weckt mich Abeer, meine Frau, auf. Ich bin um 1:45 Uhr eingeschlafen.

“Was ist los?”

“Steh auf und komm und schau dir das an.”

“Was?”

Sie zeigt mir eine Nachricht, die sie auf ihrem Handy erhalten hat. 

Das IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz) hat seinen Mitarbeitern eine Nachricht geschickt und alle aufgefordert, den Norden von Gaza und die Stadt Gaza zu evakuieren und sich in den mittleren Bereich von Gaza zu begeben, da die israelische Armee plant, den Norden zu zerstören. 

Jeder Bewohner der beiden nördlichen Gemeinden muss sich zwischen Tageslicht und 14 Uhr evakuieren. 

Was? Zwei von den fünf Gemeinden sollen komplett zerstört werden, 1,1 Millionen Menschen sollen sich in Richtung Mitte und Süden bewegen? 

Die Nachricht kam mit einer Karte von Gaza, die die zu evakuierenden Gebiete zeigte.

Aufgrund der fortlaufenden Bombardierung verbringen viele Familien im Gebäude, in dem wir wohnen, die Nacht im Keller. Das Gebäude hat 7 Stockwerke und 32 Wohnungen.

Ich ziehe mich an und gehe hinunter, um zu sehen, ob jemand anderes eine solche Nachricht erhalten hatte.

Im Keller, auf einem großen Teppich und einigen Matratzen, schlafen 8 Männer und 13 Jungen. 

Ich weckte einen der Nachbarn auf. Ich unterhalte mich mit ihm über die Nachricht. Die anderen Männer wachen auf, einige fangen an zu telefonieren, und in wenigen Minuten wird die Nachricht von mehreren Personen bestätigt. Auch Mitarbeiter der UN erhielten die gleiche Nachricht. 

Was tun???

Mehr als 30 Minuten lang bewegt sich jeder zurück in seine Wohnung, kommt dann zurück, mehrere Nachbarn versammeln sich, eine Frage hängt in der Luft ohne Antwort: Was habt ihr entschieden?

Es ist 5:30 Uhr morgens, immer noch dunkel, noch kein Tageslicht. 

Ich ging zurück nach Hause, um mich mit Abeer zu beraten. Sie arbeitet für eine internationale humanitäre Organisation, Humanity and Inclusion. Sie hat bereits die gleiche Nachricht von ihrer Organisation erhalten.

Wohin? Die zweite Frage hängt in der Luft ohne Antwort. Was ist mit meiner alten Mutter, die sich nicht bewegen kann? Was ist mit unserem Hund? Was passiert mit unserem Zuhause? Wir haben 25 Jahre unseres Lebens damit verbracht, wie verrückt zu arbeiten, um genug Geld zu sparen, um unser eigenes Zuhause zu haben.

Von 2:22 Uhr bis 6:30 Uhr konnten wir nicht klar denken. 

Wir vertrauen den Israelis nicht, sie begehen Massaker, sie haben es bereits getan, viele, und wir haben es miterlebt. Wir können es nicht riskieren, hier zu bleiben.

“Evakuierungs”-Taschen waren bereits seit dem ersten Tag des Krieges im Gazastreifen bereit. Wir entscheiden uns, in den mittleren Bereich zu ziehen, zum Nuseirat-Lager, um bei Abeer’s Familie Schutz zu suchen. Abeer’s Familie beherbergt bereits die Familie ihrer Schwester (2 Mädchen, Vater und Mutter).

Um 6:45 Uhr, während wir das Auto mit zusätzlichen Dingen füllen, die wir vielleicht brauchen könnten, rief Salma an, meine Tochter, die einen Master in Libanon macht. Sie erhielt die Nachricht, war in Panik, weinte, wir versuchten, sie zu beruhigen, keine Worte konnten jemanden in dieser Situation beruhigen. Schließlich verstand sie, dass wir noch am Leben sind und fortgehen.

Salma macht ihren Master in Menschenrechten und Demokratie, sie studiert IHL und IHRL (majestätische Abkürzungen mit sehr tiefen Bedeutungen) – IHRL (englische Abkürzung für Internationales Menschenrechtsgesetz] und IHL (Ienglische Abkürzung für nternationales humanitäres Völkerrecht). Gesetze, die jeden Verbrecher gegen die Menschlichkeit vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen können.

Doch diese großen Worte gelten nicht für jeden. Sie können schwachen, kleinen Ländern gelten, aber niemals Ländern des Westens, und sicherlich werden sie niemals Israel gelten egal was sie tun. 

Die militärische Besetzung anderer Nationen ist bereits ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber Israel, das seit Jahrzehnten Palästina besetzt, wurde nie in die Verantwortung gezogen.

Israel hat mehr als 5 Kriege im Gazastreifen geführt, Tausende von Menschen getötet, Männer, Frauen, Kinder, Häuser, Gebäude, Schulen, Krankenhäuser zerstört, und doch wird Israel nie zur Rechenschaft gezogen. 

Jetzt und heute praktiziert Israel Völkermord und ethnische Säuberung von 1,1 Millionen Menschen, enteignet sie ihrer sicheren Häuser, um sie dem Unbekannten auszusetzen, und doch schaut die Welt zu, ja, sie rechtfertigt sogar, was Israel tut.

Mehr als 2500 Tote, darunter mindestens 800 Kinder und 450 Frauen, und über 8000 Verletzte, Zerstörung von Tausenden ziviler Häuser und Gebäude. Und dennoch sind die Hände Israels frei, noch tiefer in unser Blut zu dringen. 

55 Jahre habe ich auf dieser Erde gelebt und nichts als Gewalt, Gefängnis, Tod, Blut, Bomben, Luftangriffe, Blockade, Bewegungseinschränkungen, keine Hoffnung, keine Sicherheit erlebt. Und warum? Warum all das? Weil ich zufällig, geografisch im Gazastreifen geboren wurde. Welche Schuld? Welche Anschuldigung? Geboren im Gazastreifen, von der ersten Sekunde an von den Israelis als Terrorist abgestempelt, mit grünem Licht des Westens, uns anzu tun, was immer sie wollen.

6:55 Uhr klingelt das Handy, der Sohn meines Freundes, dessen Zuhause vor 2 Tagen schwer beschädigt wurde, weil ein benachbartes Gebäude bombardiert wurde.

Antwort auf den Anruf: “Ja, Yousif, sag mir.”

Yousif: “Wir müssen jetzt nach Khan Younis gehen. Da unser Zuhause beschädigt ist, sind wir zu der NGO gezogen, wo mein Vater arbeitet. Und jetzt habe ich zu viele Leute, die ich nach Khan Younis mitnehme. Hast du Platz in deinem Auto für zwei oder drei Personen?”

Ich weiß, dass ein großer Teil von Yousifs Familie in sein Zuhause gezogen ist, von Khozaa – einem Dorf östlich von Khan Younis, das in den ersten 2 Tagen des Krieges schwer bombardiert wurde.

Ich konnte keine andere Antwort geben als ja. 

Habe mit Abeer gesprochen, wir haben bereits die Hälfte des Rücksitzes mit Dingen gefüllt, die wir mitnehmen müssen, aber wir können die Familie meines Freundes nicht ohne Hilfe zurücklassen. Wir begannen, unsere Dinge nach Priorität zu organisieren, trugen die Hälfte der Sachen zurück ins Haus.

7:25 Uhr, auf dem Weg zu meinem Freund, meine alte Mutter auf dem Vordersitz und Abeer mit unserem Hund auf dem Rücksitz, um Platz für zwei weitere Personen zu schaffen.

Die Familie meines Freundes packte immer noch, es sind mehr als 25 Personen in 2 großen Autos, sie quetschten sich in die Autos. Wir nahmen noch eine alte Dame und einen jungen Mann mit.

Ein gewaltiges Geräusch von Bomben, nicht weit entfernt, aber weiss nicht, wo.

Bevor wir losfahren, mussten wir besprechen, welche Straße wir nehmen sollten: Welche Straße wäre sicherer?

Gaza, 42 Kilometer lang und 6 bis 12 Kilometer breit, ist von Nord nach Süd nur durch 2 Hauptstraßen verbunden: die Küstenstraße, die dem Beschuss der israelischen Marine ausgesetzt ist, und die Salahaddeen-Straße, die auch Luftangriffen und Artilleriebeschuss von Osten ausgesetzt ist. 

Nicht viel Zeit für große Überlegungen, die Chancen, welche sicherer ist, stehen 50:50.

Wir fangen an zu fahren, die Küstenstraße, leer, sehr wenige Autos fahren vorbei, einige zögerlich und einige sehr schnell. Ab und zu sehen wir zerstörte Gebäude am Straßenrand am Meer, Trümmer blockieren die Straße, und wir müssen gelegentlich darum herumfahren.

Blick auf das Meer, Marineboote am Horizont, die alte Dame betet laut, Abeer versucht, mit den alten Damen zu plaudern, um sie zu beruhigen, während unser Hund völlig still ist, als ob er wüsste, dass etwas nicht stimmt.

Geräusch von Bomben.

Unser Plan war, im mittleren Bereich anzuhalten, nur eine 14 Kilometer lange Fahrt, aber wir können unsere Freunde nicht zurücklassen, fahren mit ihnen weiter nach Khan Younis – 32 Kilometer. Wir sind sicher angekommen. Sie baten uns, bei ihnen zu bleiben und nicht zurückzufahren, da es sehr gefährlich sein könnte. Es war eine Option, aber es gab nicht genug Platz. Wir erkundigten uns, ob wir eine Wohnung mieten könnten, aber es war zu spät – Tausende von Familien, die vor uns aus dem Osten von Khan Younis und vielen anderen Orten ankamen, haben jeden einzelnen Winkel von Khan Younis einschließlich Schulen, Sportvereine, Hochzeitssäle, Restaurants, NGO-Räumlichkeiten gefüllt. Jeder leere Raum war mit neuen Flüchtlingen gefüllt. Eine weitere Diaspora der Palästinenser, eine weitere Migration, eine weitere Katastrophe.

Klänge von Bomben aus vielen Richtungen. 

Meine Mutter weint vor Schmerz, mehr als anderthalb Stunden im Auto, ihr Körper kann es nicht ertragen.

Wir starten unsere Reise zurück in den mittleren Bereich, das Nuseirat-Lager, wo die Familie meiner Frau lebt. 

Wir fahren nach Norden, und jetzt kommen viele Autos aus dem Norden in den Süden, Autos voller Menschen und Sachen, fast jedes Auto hat Matratzen oben festgebunden. Einige Matratzen und Decken fielen herunter, und wir konnten sie von Zeit zu Zeit auf der Straße sehen.

Bombengeräusche die ganze Zeit. 

9:42 Uhr, Ankunft in Nuseirat. 

Jeder fängt an, das Auto zu entleeren, das Essen, das wir aus unserem Kühlschrank mitgebracht haben, mussten wir wegwerfen, Fleisch und Hühnchen waren verdorben, da der Strom für die letzten 2 Tage abgeschaltet war. 

‘Habt ihr genug Kochgas?’ fragte ich, da ich wusste, dass sie möglicherweise keins haben. ‘Wir haben etwas.’ ‘Habt ihr genug Matratzen?’ ‘Wir haben einige.’ ‘Habt ihr genug Trinkwasser?’ ‘Wir haben etwas.’ 

Die Bombengeräusche hören nicht auf.

Als das Auto leer ist, fange ich an zu fahren, Abeer schreit: ‘Was machst du? Wo gehst du hin?’ 

‘Zurück nach Gaza, um das, was wir zurück ins Haus gebracht haben, zu holen. Ohne das, werden wir nicht überleben.’ antwortete ich und fuhr weiter, ihre Schreie des Widerspruchs ignorierend. 

Ich wusste, dass die Rückfahrt nach Gaza suizidal sein könnte. Die Israelis wollen, dass wir nach Süden aus Gaza ziehen, nicht nach Norden zurück nach Gaza.

In weniger als 12 Minuten war ich zu Hause. Ich glaube, ich bin mit mehr als 140 Stundenkilometern gefahren, nicht aus Mut, sondern aus Angst. 

Ich füllte das Auto mit allem, was ich füllen konnte: Wasserflaschen, Matratzen, Decken, 2 Kochgasflaschen à 12 Kilogramm, sogar die Kekse, die ich vor mir sah, nahm ich, dachte unwillkürlich an die Kinder dort. 

Während ich schreibe, die ganze Zeit Geräusche von Bombadierungen und das Dröhnen von Drohnen, die hören nicht auf.

Jetzt ist es der zweite Tag im Haus meines Schwiegervaters. 

Weiß nicht, was zu tun ist, versuche ab und zu unsere Tochter im Libanon anzurufen, kein Internet, kein Strom, Wasser geht zur Neige, es könnte für die nächsten 3 Tage bei sehr rationiertem Gebrauch ausreichen. 

Bombardement geht weiter.

3) Hossam Madhoun in Gaza,  Tag 8

Ich sitze da und tue nichts, mein Kopf voller schrecklicher Szenarien. Mein Schwager, der ebenfalls mit seiner Frau und 2 Töchtern bei der Familie meiner Frau in Nuseirat Schutz gesucht hat, sitzt auf dem Boden und telefoniert, überprüft wie es seinen Brüdern geht, die Schutz in einer Schule etwa 2 Kilometer von uns entfernt gesucht haben.

Er fragt: “Wo war der letzte Bombenangriff, den du gehört hast?”

:—–

“Gibt es Tote durch den Bombenangriff?”

:—–

“Bist du jetzt weg von diesem Ort?”

:——

Er legt das Handy ab, alle fangen an, ihn zu fragen: “Wo? Was ist passiert? Wer ist das Ziel? Wie viele Tote gibt es? Geht es ihnen gut, deinen Brüdern?”

“Sie sind okay”, antwortet Mohammed. Der Bombenangriff war in ihrer Nähe, zielte auf ein Haus ab und hinterließ 30 Personen tot, Männer, Frauen, Kinder, Babys.

Da sie alle aus Nuseirat sind, beginnen sie zu fragen, wen es betreffen könnte, wessen Haus bombardiert wurde. Ich saß nur da und lauschte, sah zu.

Die Drohne am Himmel ist nie still, das Geräusch bohrt sich in meinen Kopf. Geräusch von Bomben in der Ferne.

Plötzlich riss mich Abeer aus meiner Stille und sagte: “Du hast letzte Nacht geträumt! Du weißt nicht, was passiert ist?”

“Was ist passiert?”

“Du weißt es wirklich nicht?”

“Wovon redest du?”

“Du hattest letzte Nacht einen Albtraum.”

“Ich??!! Wirklich?”

Anmerkung: Die ganze Familie schläft im ersten Stock, meine Mutter und ich schlafen im zweiten Stock.

“Ja, hattest du, du hast geschrien – Mutter, Mutter, oh mein Gott, meine Mutter – Mohammed und seine Frau sind hochgerannt, dachten, es sei etwas mit deiner Mutter passiert, du und deine Mutter habt geschlafen, sie haben versucht, dich aufzuwecken, konnten es aber nicht. Du hast einfach weiter geschlafen.”

“Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst.”

Jedenfalls, kein Grund zur Scham, das ist das Mindeste, was jedem in unserer Situation passieren könnte.

Geräusch von Bomben, nicht nah, aber nicht weit.

Nach dieser Geschichte fangen sie alle an zu plaudern, die Dunkelheit bricht herein, wir zünden eine Kerze an.

***

4) Tag 9, 21:52 Uhr Hossam Madhoun in Gaza

Auf meiner Matratze, allein im Dunkeln, ich nutze das Licht meines Handys, auf die Gefahr hin, den Akku zu verlieren, in der Hoffnung, das, was ich im Kopf habe, noch zu Papier fertig zu bringen. Ja, ich schreibe jetzt erneut auf, was ich bereits auf Papier geschrieben habe, denn gestern ist es mir gelungen, einen Teil des Laptop-Akkus in der nahegelegenen Moschee aufzuladen, die mit Solarzellen ausgestattet ist.

Sitze uf der Matratze, versuche mich daran zu erinnern, was an diesem seltsamen Tag passiert ist. 

Bombardements von Zeit zu Zeit und das schreckliche Geräusch der Drohne die ganze Zeit über meinem Kopf.

Um 10 Uhr morgens ging ich zum Markt von Nuseirat. 

Nuseirat Camp liegt im mittleren Bereich des Gazastreifens, wohin ich mit meiner Frau und meiner 83-jährigen behinderten Mutter geflohen bin, nachdem ich mein Zuhause in Gaza City verlassen hatte, um bei der Familie meiner Frau nach ungesicherter Sicherheit zu suchen.

Das Lager verfügt über eine Hauptstraße, die sich von der Salahaddeen Road bis zur Seestraße durch die Mitte zieht. 

Der Hauptmarkt in der Mitte dieser Straße ist etwa 200 Meter lang, auf beiden Seiten gibt es Geschäfte, Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte, Gemüseverkäufer, Fleisch, Hühner, Haushaltsbedarf, Kleidungsgeschäfte, Second-Hand-Artikel, alles ist auf diesem Markt zu finden.

Nuseirat Camp hat 35.000 Einwohner. Plötzlich, innerhalb von zwei Tagen, kamen mehr als 100.000 Menschen an, die aus dem Norden und aus Gaza City geflohen waren, um Zuflucht und Sicherheit zu suchen. Die Mehrheit suchte Zuflucht in den 13 Schulen des Lagers, mit nichts, absolut nichts außer dem, was sie mitbringen konnten. Keine Lebensmittel, kein Wasser, keine Betten, Decken, Matratzen, Teppiche, nichts. In der Hoffnung, dass die UNRWA und internationale Nichtregierungsorganisationen sie mit Grundbedürfnissen versorgen würden.

Ich kenne das Nuseirat Camp, es ist immer belebt. Es besteht nur aus dieser Straße, die 200 Meter lang und 20 Meter breit ist.

Angekommen auf dem Markt um 10:20 Uhr. Es ist nur 5 Minuten Fahrt vom Haus meines Schwiegervaters entfernt.

Was ich gesehen habe? Das ist nicht der Markt, den ich kenne! Tausende und Tausende von Menschen überall, Männer, Frauen, Jungen, Mädchen, alte Menschen, Mütter, die ihre Kinder tragen, alle Altersgruppen. Hin und her, links und rechts, in und aus den Läden auf beiden Seiten der Straße versuchten Brot oder etwas Grundversorgung zu kaufen.

Wenn man sich die Gesichter der Menschen ansieht, stimmt etwas nicht, ist nicht normal. Die Gesichter sind sehr düster, Männer mit gesenkten Köpfen, man spürt sofort, dass sie gebrochen, schwach, besiegt sind, unfähig ihrer Kinder Sicherheit zu gewähren – das Erste, was Väter für ihre Familien lesiten können sollten, haben sie verloren. Du bewegst dich unter den Menschen und spürst die Angst, die Panik, die Verzweiflung, du spürst die Finsternis, durch die sie sich bewegen, es ist Tageslicht – am Morgen, und es fühlt sich sehr dunkel an, Dunkelheit, die zu etwas Materiellem geworden ist, etwas, das man mit der Hand berühren kann.

Alle bewegen sich schnell, man könnte denken, sie haben es eilig, Essen oder grundlegende Bedürfnisse zu kaufen. Aber bei genauerem Hinsehen merkst du, dass sie schnell gehen wollen, um ihre Gefühle von Scham und Angst zu verbergen – Scham, die sie nicht fühlen dürfen, aber sie tun es. Sie wollen ihre Hilflosigkeit, ihre Sorgen, ihre Ängste, ihre Wut und Frustration verbergen.

Es ist der Tag des Gerichts.

Sie verließen ihre Häuser, ohne zu wissen, ob sie jemals zurückkehren werden. Die Geschichten ihrer Väter und Großväter über die Vertreibung und erzwungene Migration in den Jahren 1948 und 1967 blitzten in ihren Köpfen auf. In diesem Völkermord , verloren die Palästinenser ihre Häuser, ihre Länder, und viele verloren ihr Leben. Sie sind so in Panik, dass es ein neuer Völkermord ist. Ist das unser Schicksal als Palästinenser? Sollten wir alle paar Jahre einen neuen Völkermord durchmachen???

Versuche mich zu konzentrieren. Warum bin ich zum Markt gekommen? Ja, ich muss etwas Brot und Lebensmittel kaufen. An der Bäckerei eine Schlange von mehr als 100 Menschen, es wird Stunden dauern, um etwas Brot zu bekommen. Ich bat meinen Schwager, sich anzustellen, und ging zum Supermarkt, um die anderen Bedürfnisse zu kaufen.

Das Geräusch von einem  Bombardements n der Nähe, sehr laut.  Jede einzelne Person auf dem Markt , auch ich, erstarrt für einen kurzen Moment, als ob uns jemand mit einer Fernbedienung eingefroren und dann wieder freigegeben hätte. Die Leute machen weiter, was sie gerade taten, niemand bleibt stehen, um herauszufinden, wo das Bombardement ist, denn alle 5 Minuten gibt es eine Bombardierung. Hunderte von Bombardements jeden Tag, überall, Geschichten von zerstörten Häusern mit ihren Bewohnern darunter begraben.

Wir sind von der Welt abgeschnitten, kein Internet, keine Radios, kein Fernsehen, keine Nachrichten. Wir sind die Nachrichten, aber wir wissen nichts über uns selbst, wir haben nur Handys, die nach mehreren Versuchen nur schwer eine Verbindung herstellen können. Niemand kann mit dem, was passiert, Schritt halten.

Während ich im Supermarkt das Nötige sammle, klingelte das Handy, es ist meine Frau Abeer, sie ruft: “Komm jetzt zurück, Salma, unsere Tochter, hatte einen Panikanfall, sie weint unkontrolliert.”

Salma, unsere einzige Tochter, ist im Libanon. 

Ich fuhr schnell zurück, nahm meinen Schwager mit, ohne Brot zu bekommen. 

Auf dem Weg nach Hause sahen wir einen Krankenwagen und einige Leute, die sich neben einem zerstörten Haus versammelten, das an den Friedhof angrenzte, der sich zwischen unserem Haus und dem Markt befand, etwa 300 Meter von beiden entfernt.

Zwei bedeckte Leichen lagen am Straßenrand, und Rettungskräfte trugen eine weitere Leiche und legten sie neben die anderen beiden.

Wir kamen an: 

“Was ist passiert?” fragte ich. 

Abeer antwortete: Salma hat in den Nachrichten im Libanon gehört, dass ein Bombenangriff auf ein Haus in der Nähe des Friedhofs stattgefunden hat. Sie weiß, dass unser Zuhause nicht weit davon entfernt ist, sie geriet in Panik, dachte, dass wir verletzt worden sein könnten.

Ich rief Salma an. Nach mindestens 13 abgebrochenen Versuchen anzurufen, antwortete Salma schließlich. 

“Meine geliebte Tochter, wir sind sicher, es war weit weg von uns.” 

Ich brauchte 5 Minuten, um sie zu beruhigen.

Abeer und ich sind in Nuseirat, der Friedhof war 300 Meter von ihr und 300 Meter von mir entfernt, aber wir wussten nicht, was passiert war. Meine Tochter, 270 Kilometer entfernt im Libanon, erfuhr von unserer Situation, bevor wir es taten. Sie halten uns im Dunkeln. 

Nun, genug für heute, mein Handy-Akku geht zur Neige und der Schmerz in meinem Rücken ist nicht mehr auszuhalten.

5) Weiß nicht, welcher Tag es ist,  Hossam Madhoun im Gazastreifen

Ich weiß nicht, welcher Tag es in diesem verdammten Krieg ist. 

Ich sitze am Schreibtisch der UNRWA-Klinik in Nuseirat. 

Meine Frau hat gestern beschlossen, dass sie nicht untätig bleiben kann. Sie arbeitet für Humanity and Inclusion. Sie haben einen Vorrat an Hilfsmitteln, medizinischen Versorgungsgütern, Rollstühlen und ähnlichem.

Sie kontaktierte ihren Kollegen, Osama; er war bereits vor Ort und suchte nach jeglicher zusätzlichen Hilfe. 

Wir gingen zu den UNRWA-Schulen, wo vertriebene Menschen Zuflucht gefunden haben.

Wir besuchten vier Schulen, um zu zählen, wie viele behinderte Personen, schwangere Frauen, alte kranke Menschen, stillende Babys und Verletzte medizinische Versorgung benötigen. 

Die Menschenmassen in den Schulen waren die Hölle, mehr als 4000 Personen in jeder Schule.

Die Schulen bestehen aus 22 Klassenzimmern, 2 Verwaltungsräumen und 12 Badezimmern, mit einem Vorgarten von etwa 120 Quadratmetern. 

In den Räumen waren Frauen und Kinder zusammengedrängt.  

Die Männer sind alle draußen im Vorgarten. Niemand kann sich vorstellen, wie sie das bewältigen, ob sie es überhaupt bewältigen?!

Keine Wasserversorgung, Hautkrankheiten fangen an, sich wie eine Pandemie auszubreiten. 

Wir trafen die Freiwilligen und die Verantwortlichen für die Unterkunft, um Informationen über die Bedürftigen und ihre Bedürfnisse zu erhalten. Hunderte versammelten sich und umringten uns in der Hoffnung, dass wir helfen können, Essen oder andere grundlegende Bedürfnisse zu bringen. Die Menschenmenge, der Lärm, 5000 Menschen sprechen, schreien, kämpfen, streiten gleichzeitig auf einem eng begrenztem Raum, Kinder weinen, der Geruch ist unerträglich.

In 3 Stunden sammelten wir die benötigten Informationen:

– 278 behinderte Personen

– 301 schwangere Frauen

– 167 stillende Babys

– 77 Verletzte, die medizinische Versorgung benötigen

– 198 ältere Männer und Frauen, die Hilfsmittel, Rollstühle, Gehhilfen usw. benötigen

Zurück in die UNRWA-Klinik , wo Abeers Kollege die Überbringung des gesamten Vorrats von Deir Al Balah nach Nuseirat koordinierte. 

Abeer begann die Überprüfung mit dem UNRWA-Team, um Doppelungen bei der Verteilung zu vermeiden. 

Osama kam mit einem großen Lastwagen voller Materialien an, die wir in das Lager der Klinik bringen mussten. Es waren Osama, Abeer, zwei weibliche Freiwillige und zwei männliche UNRWA-Mitarbeiter dabei.

Zwei Stunden, um den Lastwagen zu entladen, wir waren alle erschöpft, es ist spät, in weniger als 45 Minuten wird es dunkel, absolut gefährlich, sich im Dunkeln zu bewegen. Wir hatten wirklich Angst, wir beschliessen, die Verteilung auf morgen zu verschieben.

Es ist jetzt morgen, während ich dies schreibe. Osama kam mit einem neuen Lastwagen an, der entladen werden musste. Es gibt genug Leute, die helfen können, es ist 11 Uhr morgens.

6) Wieder auf dem Markt am Donnerstag, den 19. Oktober 2023,  Hossam Madhoun in Gaza

Um 9 Uhr bewegen meine Frau und ich in Richtung der UNWRA-Klinik, um die verfügbaren Hilfsmittel, Würde-Kits für Frauen, Krücken und Rollstühle zu koordinieren und zu verteilen, die wir gestern in den vier Schutzschulen identifiziert haben.

Bei der Ankunft auf dem Markt ist kein Tag wie der andere, jeder Tag ist anders.

Auf dem Markt ist eine riesige Menschenmenge. Die Menschen haben die gleichen, düsteren Gesichter, Köpfe gesenkt. Einige Veränderungen haben stattgefunden. Die Leute haben es nicht mehr eilig. Die Menschen gehen wie Zombies. Die Menschen gehen, als hätten sie kein Ziel.

Während er wie alle anderen ging, stößt ein Mann gegen mich. Meine Lesebrille, die ich an meiner Brust trage, an meinem Hemd befestigt, fällt auf den Boden und zerbricht. Der Mann geht weiter ohne etas zu sagen, schaut nicht einmal zurück, um zu sehen, gegen wen er gestoßen ist.

Mein Plan war es, zur UNWRA-Klinik zu kommen, Abeer dort zu lassen und etwas einzukaufen. Jetzt steht etwas Neues auf der Liste: Lesebrillen. Wie kann ich ohne sie lesen oder schreiben?

Wie auch immer, etwas Weiteres heute neben Brot und Gemüse zu kaufen, vielleicht ein Huhn, wenn ich eines finde. Kein Obst auf dem Markt, überhaupt keins.

Am Dienstag um 4.30 Uhr traf die israelische Luftwaffe eine der einzigen beiden Bäckereien im Lager an. Neun Menschen wurden bei dem Angriff getötet, die Arbeiter dort arbeiteten und bereiteten so viel Brot wie möglich vor.

Die Warteschlange vor der Bäckerei hat sich verdoppelt. Es gab einige Hundert Menschen, 50 Meter entlang der Straßenseite. Jetzt sind die Menschen in der Schlange unzählig.

Vergiss das Brot. Es wird einen halben Tag dauern, genug Brot für einen Tag zu bekommen. Du kannst die Menge, die Du möchtest, nicht kaufen – begrenzte Mengen, damit jeder etwas bekommen kann.

Was tun? Ich werde Brotmehl kaufen und zu Hause backen. Aber wie? Auf die gleiche Weise, wie es unsere Großeltern vor 80 Jahren in unserer Heimatstadt Almajdal gemacht haben (die jetzt eine israelische Stadt namens Ashkelon gewroden ist). Auf einem Feuer!

Glücklicherweise leben meine Schwiegereltern in einer halbländlichen Gegend. Wir können dort Holz für ein Feuer finden. Weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber lass uns Tag für Tag planen.

Ging zu allen Supermärkten und Lebensmittelgeschäften, um nach Brotmehl zu suchen. Es gibt keins. Null. Nichts.

Ein paar Stunden vergingen, und ich sah einen Mann, der einen Beutel mit 30 Kilo Brotmehl trug. Ich fragte ihn, woher er es hatte.

“Albaba Supermarkt!”

“Wo ist das?”

“Im Bureij Camp!”

Bureij Camp liegt ebenfalls im mittleren Bereich des Gazastreifens. Es befindet sich auf der Ostseite der Salahaddeen-Straße, während Nuseirat auf der Westseite, angrenzend ans Meer, liegt.

Was für ein Dilemma?!! Sich in Richtung und entlang der Salahaddeen-Straße zu bewegen, ist überhaupt nicht sicher. Aber es gibt keine Wahl. Ich fuhr direkt nach Bureij. Der Supermarkt war mitten im Lager. Zum Glück gab es immer noch Brotmehl. Ich kaufte 30 Kilo. Der Mann weigert sich, mir mehr zu verkaufen, und sagt, dass auch andere es brauchen – “Ich habe meine eigenen Kunden und möchte sie nicht enttäuschen, wenn sie kommen, um zu kaufen.” Verständlich!

Zurück zur UNWRA-Klinik. Abeer und ihre Schwester, die beschlossen hatte, sich auch mit ihr als Freiwillig zu melden, sowie einige andere Kollegen waren nach einem langen Tag in den Unterkünften dort. Sie waren müde, erschöpft, das war offensichtlich.

Ich fragte, habt ihr etwas gegessen oder getrunken?

Sie sagten nein.

Ich ging zum nahegelegenen Lebensmittelgeschäft und kaufte etwas Saft und Kekse. Ich war auch sehr hungrig und durstig. Auf dem Rückweg holte ich einen Keks heraus und begann, ihn zu essen, als ich einen Jungen auf dem Bürgersteig sah, der mich anschaute. Er sah arm aus, mit schmutziger Kleidung, barfuß. Ich nahm einen Keks heraus und bot ihn ihm an. Er wollte ihn zuerst nicht nehmen, aber ich bestand darauf, und er nahm ihn.

Ich beschloss, das nie wieder zu tun. Ich meine, nie wieder einen Keks auf der Straße zu essen.

7) 20.Oktober 2023

Ich laufe zum Markt.Abeer’s Cousin lebt dort und hat Internetzugang. Laufe – kein Benzin im Auto mehr, und natürlich überhaupt kein Benzin in den Tankstellen, da die Mengen, die aus Israel eingeführt werden ( wie alle Mittel fürs Leben) begrenzt sind und nie mehr als eine Woche reichen. Das ist Teil der Blockade und der kollektiven Bestrafung gegen Gaza.

Laufe und versuche irgendeine Mitfahrgelegenheit für uns zu finden. 

Nach 10 Minuten unterwegs hielt ein großer Transporter und nahm uns mit. Er war ein Gentleman. Auf dem Rücksitz saß eine Frau, auch sie hatte er mitgenommen. Etwa hundert Meter vom Markt entfernt, in der Nähe einer „Schutz“-Schule, in einer engen Seitenstrasse, die zur Hauptstrasse beim Markt führt —  eine große Explosion hinter uns. Eine riesige Rauchwolke steigt empor.Der Transporter bebt, ist voller Staub. Der Fahrer hält an.Viele Menschen fangen an, aus der Schule zu rennen. Als wir aus dem Auto aussteigen, eine weitere riesige Explosion vor uns, viel näher, derselbe Schwall von Rauch und Feuer. Menschen schreien, brüllen weinen, rennen. Ich weiß nicht wohin- verwirrt.

Soll ich zurück? Soll ich weitergehen? Vielleicht wäre der Markt sicherer, da Tausende Menschen dort in der Strasse sind. Sicherheit??!!  

Gleich drauf eine weitere Bombadierung westlich und viel näher. Schutt über uns,viele Menschen fallen zum Boden,  manche verletzt durch herumfliegende Trümmer.

Ich stand an der Schulmauer.Ich konnte nicht atmen. Nizar, Abeer’s cousin ,verkauft Tomaten und Zwiebeln auf dem Markt. Konnte nicht denken, rannte wie verrückt in seine Richtung, eine absolute dumme Idee, absolut irrational. Wer ist rational in diesem verdammten Krieg? Wer ist rational in diesem Schlachthaus? Ja, es ist ein Schlachthaus. Die Israeli Schlächter nutzen jede einzelne Minute aus, um so viele Palästinenser wie möglich, wie Schafe abzuschlachten, noch bevor die Welt endlich aufwacht.

Die Bombadierung war in einer Seitenstrasse vom Markt; Schutt, Sand, Schlamm, zerbrochenes Glas überall. Die Staubwolke war noch im Himmel, verandelte as Mittagslicht in einen Sonnenuntergang . Ja, es ist Sonnenuntergang ,  kein Licht in unserem Leben. 

Erreiche  Nizar’s Ecke, all seine ganze Ware voller Staub und Sand, auch Nizar. Er ist okay, hat nur einen kleinen Schnitt an seiner Hand,  macht nichts, er ist am Leben.

Ich dachte daran, Abeer anzurufen, damit sie sich keine Sorgen um uns macht. Sie war o.k. Sie dachte nicht, dass diese Bomben in unserer Nähe waren. Jede Minute hören wir Bomben. Wir haben keinen Zugang zu Nachrichten,  können nicht wissen, was passiert oder wo die Bombadierungen stattfinden. Keine Chance. Deshalb hörte  Abeer die Bomben und machte einfach mit dem weiter, was sie sowieso machte. 

Ich entschloss ihr nicht zu erzählen,was passiert ist und ging zu Fuß nach Hause.

Zu Fuß unterwegs zu sein ist nicht dasselbe, wie mit dem Auto zu fahren. Wenn ich fahre, sehe ich auf beiden Seitenstrassen zerstörte Häuser ,viele zerstörte Häuser und jeden Tag frisch zerstörte Häuser. Beim gehen ist es anders: ich sehe diese Häuser viel näher, ich sehe viel mehr Details als beim Fahren. Ich sehe wie drei-oder vierstöckigen Gebäude aufeinander gestapelt und zerdrückt sind,  Decken auf den darunterliegenden Decken zusammengekracht, Möbeln und Hab und Gut der Menschen überall auf den Straßen verstreut, manche Häuser entzwei geschnitten. Sah ein halbes Bett, Teil einer Küche, ein Badezimmer mit Unterwäsche überall, Bücher, Schultaschen zerfetzt, alles voller Staub. 

Der Großteil dieser Häuser wurden bombardiert, während sie voller Bewohnern waren, viele wurden tot hinausgetragen, vielleicht liegen viel mehr tot unter den Trümmern, da es keine Maschinen gibt, um den Schutt zu entfernen, um offenzulegen, was, wer sich darunter befindet. Was für ein Schicksal, was für eine Art, diese ungerechten Welt zu verlassen! 

Endlich zuhause nach einem 25minütigen Fußweg. Hab heute nichts auf dem Markt gekauft, wir werden heute mit dem ,was wir haben, zurechtkommen. Beende diese Episode mit guten Nachrichten von meiner Tochter , Salma, in Libanon, wo sie für ihren Masterdiplom studiert. Die Universität hat ihr ein volles Stipendium gegeben.

8) Hossam Madhoun in Gaza – Freunde

Ich habe heute einen Freund angerufen. Er ist mit seiner Familie von Gaza-Stadt nach Rafah gezogen. Rafah ist der letzte Ort im Gazastreifen, bevor man zur Grenze mit Ägypten gelangt.

„Wie geht es dir?“

„Mir geht es gut.“

„Die Familie?“

„Wir sind alle okay.“

„Wo bist du?“

„In einer Schule in Tel Elsultan in Rafah.“

„Warum in einer Schule? Ich kann dir eine Wohnung besorgen. Ein Freund von mir in Rafah hat angeboten, meine Familie und mich dort aufzunehmen. Er wird euch gerne aufnehmen.“

„Nein. Nein, danke, mir geht es hier gut.“

„Wovon redest du? Ich weiß, wie es in den Schulen zugeht.“

„Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut hier. Viele Freunde haben mir Wohnungen angeboten, aber ich bleibe hier in der Schule.“

„Okay, mein Freund, wie du willst. Pass auf dich auf.“

Ende des Anrufs.

Was für ein starrköpfiger Mann! Er lehnt Hilfe ab. Eines Tages wird sein Stolz ihn umbringen!

Warte. Warum ihn beurteilen? Tausende von Häusern wurden ohne Vorwarnung bombardiert. Vielleicht hatte er Angst, in ein ihm unbekanntes Zuhause zu gehen. Vielleicht glaubte er, dass es im Schutz der Schule sicherer ist.

Diese Schulen wurden vor Jahren nach dem Krieg von 2014 von UNRWA und dem Büro der Vereinten Nationen für humanitäre Angelegenheiten in Absprache mit den Israelis im Notfall als Schutzräume ausgewiesen. Sie sollten geschützt sein.

Dennoch fand vor drei Tagen in Khan Younis eine Bombardierung am Tor einer dieser Schutzschulen statt, bei der fünf Menschen getötet und zweiundzwanzig verletzt wurden. Vor fünf Tagen wurde eine weitere Schutzschule im Maghazi-Lager bombardiert, bei der drei Menschen getötet wurden.

Wie auch immer, jeder versucht auf seine Weise zu überleben.

Ich rief einen anderen Freund an, Majed, der ebenfalls von Nord-Gaza nach Khan Younis in eine andere Schutzschule gezogen ist.

„Wie geht es dir?“

„Mir geht es gut!“

„Wie ist die Situation in der Schule?“

„Ich bin nicht mehr dort. Ich bin in mein Zuhause in Gaza zurückgekehrt.“

„Was?! Aber das ist sehr gefährlich.“

„Egal. Es ist viel besser, als in dieser Schule zu bleiben. 4000 Menschen auf engstem Raum, Frauen und Kinder sind in 22 Räumen zusammengepfercht. Männer stehen auf dem Schulhof, warten in Schlangen vor den sehr schmutzigen Toiletten, kein Wasser, kein Essen, keine Elektrizität, kein Licht in der Nacht, keine Privatsphäre, viel Spannung, die Menschen kämpfen und streiten über alles. Dieses Leben kann ich nicht ertragen. Hier bin ich zu Hause, und ich gehe nirgendwohin. Wenn ich überlebe, dann überlebe ich. Wenn ich sterbe, dann lasst es mit etwas Würde sein.“

Ich konnte nichts sagen außer:

„Pass auf dich auf, mein Freund, bleib sicher, hoffentlich sehen wir uns bald.“

Er war empört, als er sprach,das kann ich verstehen.

Ein weiterer Freund, Jaber, ist zwei Tage vor dem Krieg nach Ägypten gegangen. Er konnte nicht zurückkommen, da die Grenze zu Ägypten geschlossen ist. 

Seine erweiterte Familie zog am zweiten Tag des Krieges von Ost-Khan Younis in sein Zuhause in Gaza, ein kleines Apartment mit 32 Personen: alten Müttern, Frauen, jungen Menschen und kleinen Kindern.

Am dritten Tag wurde ein Haus auf der anderen Seite der 20 Meter breiten Straße von seinem Zuhause bombardiert, während seine Familie drinnen war. Die gesamte Front des Hauses wurde komplett zerstört. Wie durch ein Wunder war keiner seiner Familie tot oder verletzt. Ich kann nicht begreifen oder mir vorstellen, was er fühlen oder denken würde. Könnt ihr das?

9) Hossam Madhoun in Gaza, 21. Oktober 2023, 15:55 Uhr

Sitze auf der Straße neben der Haustür eines Nachbarn, der Solarmodule hat. Seit meiner Ankunft in Nuseirat vor zehn Tagen komme ich zu diesem Nachbarn und bringe meinen Laptop, mein Handy und eine Powerbank mit, um sie aufzuladen. Er ist ein sehr sanfter und netter Mann. In seinem Vorgarten hat er mehrere Stromkabel und Anschlüsse installiert. Auf dem Boden sieht man viele Handys, kleine Batterien und Powerbanks, die angeschlossen sind und geladen werden. Alle Nachbarn in der Umgebung bringen täglich ihre Geräte zum Aufladen mit.

Er empfängt die Leute von 8 Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang. Drei seiner Söhne bedienen die Menschen, nehmen jeden in Empfang und helfen so gut sie können, sehr höflich. Was für eine wunderbare Solidarität.

Ich nahm meinen Laptop, der voll aufgeladen war, und steckte stattdessen mein Handy zum Laden an. Ich entscheide mich, eine halbe Stunde zu warten, anstatt nach Hause zu gehen und später zurückzukommen. Während ich draußen an seiner Tür auf dem Bürgersteig saß, schrieb ich das hier.

10) Hossam Madhoun in Gaza – Buddy

Mein Hund, Buddy, ist ein kleiner weißer, liebenswerter Hund. Die meiste Zeit spielt und springt er herum, bellt mit seiner sanften Stimme, rennt hinter Straßenkatzen her, wenn sie es wagen, ins Haus zu kommen. Er ist ein mutiger Hund. Aber nicht, wenn es Bomben gibt. Da hat er keinen Mut, überhaupt nicht. Er ist kein Feigling, aber er hat Angst vor den Bomben, wer hat das nicht?

Er hört die Bomben immer Momente bevor wir es tun, rennt zu mir oder Abeer und versteckt sich hinter uns. Und wenn wir nachts im Bett liegen, springt er über unsere Köpfe, legt seinen Körper um meinen Kopf oder Abeers Kopf und fängt an zu zittern und schnell zu atmen, als ob er stundenlang gerannt wäre. Nichts kann ihn beruhigen, sein Körper wird ganz steif, es ist nicht einfach, ihn von meinem Kopf wegzubewegen. Ich fühle mich hilflos, weiß nicht, was ich tun soll, um seine Angst zu lindern.

Buddy, wie Hunderttausende von Kindern im Gazastreifen, die Angst haben, in Panik geraten, unfähig sind, ihre Gefühle auszudrücken. Niemand kann ihnen helfen oder ihre Angst lindern. Auch ihre Eltern sind hilflos, da sie selbst auch Angst und Panik verspüren. Gibt es bald ein Ende für diesen Albtraum???

11) Hossam Madhoun in Gaza, 22. Oktober 2023, 17:07 Uhr

Nach einer furchterregenden und schrecklichen Nacht voller Bombardements und Explosionen rund um uns, ohne zu wissen, wo oder wann sie uns treffen könnten, musste ich mich auf meine Mutter konzentrieren.

Meine 83-jährige bettlägerige Mutter hat einen 12 Zentimeter langen Riss in ihrem Magen. Sie nimmt Nexium-Granulate zweimal täglich vor dem Essen, um ihren Magen vor sich selbst zu schützen. Das klappt nicht immer. Einmal alle 2-3 Monate hat sie starke Schmerzen und muss erbrechen, durchgehend, schmerzhaft. Wenn es passiert, hört sie auf, irgendetwas zu essen, hört auf, irgendetwas zu trinken, sogar Wasser, denn alles, was in ihren Magen gelangt, wird sofort mit Schmerzen wieder herausgestoßen. Manchmal hört es von selbst nach zwei bis drei Tagen auf, manchmal wird es schlimmer, wenn ihre Speiseröhre durch das Erbrechen eien Hernie bildet und anfängt, im Magen zu bluten; dann erbricht sie dunkelbraune Flüssigkeit, das ist innere Blutung. Das ist ein Warnsignal, sie ins Krankenhaus zu bringen. Aus Erfahrung kenne ich den Ablauf, sie spritzen ihr Nexium-Pulver gemischt mit Kochsalzlösung in die Vene.

Sie muss ins Krankenhaus!

Welches Krankenhaus? Welches? Eines derjenigen, die komplett zerstört wurden? Eines derjenigen, die ständig Hunderte von Verletzten aufnehmen? Wer wird Zeit für eine alte Dame mit Magenproblemen haben, während Hunderte lebensrettende Eingriffe benötigen?

Ich beschloss, zum Markt und zur UNRWA-Primärversorgungseinheit zu gehen, um die benötigten Artikel zu finden, um den Eingriff hier zu Hause durchzuführen. Pulverisiertes Nexium, Kochsalzlösung, Kanüle, Spritze, Alkohol und Verband.

Unerwegs zu Fuß, von Zuhause zum Markt, Spuren der Bombardierung der letzten Nacht auf beiden Seiten der Straße, Häuser und Gebäude komplett beschädigt, zerstört, über den Köpfen der Bewohner. Keine vorherige Warnung. Absolute Massaker.

Laufe an einem Olivenhain vorbei, arme Oliven, es ist Erntezeit, niemand wird die Oliven dieses Jahr ernten, Oliven werden auf den Boden fallen, trocken und verrotten, die Olivenbäume werden austrocknen und alle Äste werden vom Herbstwind verweht, Vögel und Tauben werden keine Olivenzweige finden, um ihre Nester für zukünftige Generationen zu bauen.

Sehr nahe Bombardierung, hinter dem Olivenhain. Spürte die Bombardierung, der Klang ist sehr laut, eine Welle heißer Luft fegt über meinen Körper, bewegt mich von meinem Platz. Ich bleib stehen und halte meinen Körper nah am  Zaun des Hains. Nach ein paar Minuten höre ich Schreie, Menschen weinen und rufen. Ich bewege mich schnell, vorbei am Hain und auf der rechten Seite einer schmalen Straße. Am Ende der Straße ein bombardiertes Haus, Menschen ziehen Körper aus den Trümmern, ein kleines Auto überholt mich sehr schnell, der Fahrer hupt, als es an mir vorbeifährt, sehe ich für einen einzigen Moment eine Frau auf der Rücksitzbank, die ein verletztes Kind hält, ein Mädchen vielleicht 7 oder 9 Jahre alt, es ging sehr schnell, konnte nicht wissen, welche Art von Verletzung oder das genaue Alter des Mädchens. Aber ich sah Blut und Staub über ihren ganzen Körper.

Es ist zu viel, ich habe genug, ich kann nicht mehr weiter, 55 Jahre voller Gewalt, Blut, Tod, Qual, Vertreibung, Armut, Traurigkeit, Hilflosigkeit, Verzweiflung, ich kann es nicht mehr ertragen, ich habe keine Tage mehr in mir für eine solche Situation, keine mehr, ich will aufgeben, ich meine es ernst, ich bin wirklich bereit zu gehen.

In Zeiten wie diesen Tagen, in Kriegszeiten wie diesen, in 2009, 2012, 2014, 2021, 2022, 2023, als meine Tochter Salma sagte, sie könne es nicht mehr ertragen, sagte ich ihr, sie solle sich den Peter Gabriel-Song anhören, „Gib nicht auf, gib nicht auf, denn du weißt, dass du es kannst“.

Peter Gabriel hat mir früher viel geholfen, er hilft mir jetzt nicht mehr, tut mir leid Peter, ich kann es nicht mehr ertragen.

Da ist meine Mutter, da ist meine Tochter, da sind meine Schwestern und Brüder, die alle glauben, dass ich es kann, die alle glauben, dass ich für sie da sein sollte.

Ich gehe weiter auf den Markt zu, konnte meine Tränen aufhalten, ich wollte schreien, schreien, fluchen. Ich wollte eine Umarmung, ich brauche wirklich eine Umarmung.

Angekommen bei der UNRWA-Primärversorgungseinheit, wo ich ehrenamtlich mit Humanity and Inclusion arbeite, sah ich einen Arzt, ging zu ihm und erklärte ihm die Situation meiner Mutter und ihre Bedürfnisse.

„Es tut mir leid, im Apothekenlager gibt es kein Nexium, keine Kanülen. Alles wurde an die Schutzräume verteilt, um die frühzeitig aus dem Krankenhaus entlassenen Verletzten zu versorgen, mussten dringend Platz für die neuerlich Verletzten schaffen. Aber ich kann dir die Kochsalzlösung besorgen.“

„Danke, Doktor.“

Ich nahm die Kochsalzlösung und ging raus, um in den Apotheken nach dem zu suchen, was ich brauchte, und kam dabei mitten im Herzen des Marktes an. Oh mein Gott, was für ein schrecklicher Anblick – ein riesiges Gebäude komplett zerstört, mit mindestens 12 anderen Gebäuden in der Umgebung, daneben, dahinter und davor beschädigt. Ein sehr hässliches, düsteres und beängstigendes Bild. Seit Beginn des Krieges gegen Gaza bis gestern wurden 42 % der Wohneinheiten im Gazastreifen, insgesamt 146.756 Einheiten, zerstört oder beschädigt. Gibt es noch klarere Beweise für Völkermord?

Laufe von Apotheke zu Apotheke, von Straße zu Straße, vom Lager Nuseirat zum Lager Bureij auf der anderen Seite der Salahaddeen Street. Nach mehr als drei Stunden Fußmarsch und dem Besuch von 17 Apotheken, eienr Strecke von 13 Kilometern laut der Schrittzähl-App auf meinem Handy, fand ich endlich alles, was ich für meine Mutter brauchte. Während ich auf dem Heimweg war, erlitt meine Mutter diese schrecklichen Schmerzen. Meine Schwiegereltern kannten eine Nachbarin, die Krankenschwester ist. Sie riefen sie an, und sie zögerte nicht zu kommen. Sie tat, was für meine Mutter notwendig war, es war 13.35 Uhr, als sie fertig war. Seitdem schläft meine Mutter.

Ich muss schlafen.

12) Kriegsverbrechen und andere Information. Hossam im Flüchtlingslager Nuseirat, südlich von Gaza-Stadt

Jeden Tag, jede Nacht, Bombardierungen, Angriffe ,Beschüsse, die hören nicht auf — manchmal schwer und ununterbrochen, manchmal mit einer Pause, jeden Tag sagen wir zu uns selbst: “Dies ist der schlimmste Tag seit Beginn des Krieges gegen Gaza.” Ein anderer Tag kommt, um uns zu sagen: “Du hast noch nicht das Schlimmste gesehen!”

Ja, gestern, ab Mittag, ununterbrochen, die Bombardierungen und hauptsächlich das Beschießen vom Land und vom Meer, bis bis heute um 7 Uhr morgens. Bombardierungen, die die Luft erschüttern, die Wände, die Bäume und unsere Herzen und Köpfe erschüttern.

23 Tage und wir zählen immer noch: Tote, Verletzte, Zerstörung, Qual, Demütigung, Hungernot, Krankheit. 23 Tage, und jeden Tag verlieren wir etwas von unserer Hoffnung, etwas von unserer Kraft, etwas von unserer Menschlichkeit.

Die Hamas hat Zivilisten getötet. Ein Kriegsverbrechen. Sie müssen vor dem Internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden, basierend auf dem Internationalen Menschenrechtsrecht und dem Internationalen humanitären Recht.

Können wir über die andere Seite sprechen?

Vor 20 Jahren veröffentlichte Israel geheime Dokumente von 1948 und davor. Sie gestehen, dass sie Massaker an Palästinensern in vielen Dörfern begangen haben, Hunderte unschuldiger Menschen in Tantora, in Deir Yaseen, in Kafr Qasem und in vielen anderen Dörfern kaltblütig getötet haben. Neben diesen Dokumenten haben viele ihrer ehemaligen Soldaten in den Medien zugegeben, dass sie an der Tötung von Zivilisten, der Vergewaltigung von Frauen und ihrer Ermordung beteiligt waren. Einige äußerten Bedauern und andere sprachen mit Stolz über das, was sie getan hatten. Dies sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem gleichen Internationalen Menschenrechtsrecht und Internationalem humanitären Recht. Werden sie zur Rechenschaft gezogen?

Die Israelis vertrieben die Palästinenser von ihren Ländereien, enteigneten sie, säuberten alle Städte und Dörfer, ein klarer und offensichtlicher Völkermord. Zerstörung von 800 Dörfern, Herbeiführung einer Katastrophe für eine ganze Nation. Sie zwangen sie, Flüchtlinge in vielen Ländern auf der ganzen Welt zu sein, aber hauptsächlich in Syrien, Jordanien und im Libanon.

Viele Jahre lang hat Israel die Nazi-Verbrecher gejagt, die nach dem Zweiten Weltkrieg entkamen und sich versteckten, und sie vor Gericht gebracht. Das ist großartig; das macht mich glücklich. Verbrecher müssen vor Gericht gebracht werden. Alle Verbrecher, ohne Unterscheidung, ohne Ausnahmen.

Werden diese israelischen Verbrecher von 1948 und davor – diejenigen, die es zugeben und gestehen – vor Gericht gestellt? Sie haben es bereits zugegeben, sie haben gestanden!

Jetzt hat Israel den Krieg gegen die Hamas erklärt; und alle westlichen Länder unterstützen sie.

Schauen wir uns diesen Krieg an:

Zwischen 18:00 Uhr am 28. Oktober und 12:00 Uhr am 29. Oktober wurden in Gaza 302 Palästinenser getötet. Die kumulierte Zahl der gemeldeten Todesopfer in Gaza seit Beginn des Angriffs beträgt damit 8.005, wovon 67 Prozent Kinder und Frauen sind.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Israel hat 55% der Wohneinheiten im Gazastreifen zerstört oder beschädigt, etwa 200.000 Wohneinheiten, zerstört, beschädigt, einschließlich der Zerstörung der Wasser-, Abwasser-, Strom- und Telefoninfrastruktur. Dadurch sind 2,1 Millionen Menschen gezwungen, sich an einem Ort zusammenzudrängen, an dem bereits 1 Million lebt.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Am 28. und 29. Oktober wurden die Viertel von Al Shifa und Al Quds Krankenhäusern in Gaza-Stadt sowie das indonesische Krankenhaus im Norden von Gaza wie berichtet bombardiert, wodurch Schäden verursacht wurden. Tausende Patienten, medizinisches Personal und etwa 117.000 Binnenvertriebene halten sich in diesen Einrichtungen auf.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Bis zum 29. Oktober wurden mehr als 1,4 Millionen Menschen in Gaza von 2,1 Millionen Binnenflüchtlinge, wobei etwa 671.000 in 150 UNRWA-Einrichtungen Schutz suchen. Die durchschnittliche Anzahl der Binnenvertriebenen pro Unterkunft übersteigt mehr als dreimal ihre beabsichtigte Kapazität.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Israel verhindert die Einfuhr jeglicher Art von Treibstoff und hat die Wasserversorgung und Stromversorgung für 2,1 Millionen Bewohner im Gazastreifen unterbrochen.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Die Telekommunikationssperre durch die Israelis hat die bereits schwierige Bereitstellung humanitärer Hilfe vollständig zum Erliegen gebracht und beraubt die Menschen lebenswichtiger Informationen. Wie der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am 28. Oktober feststellte: 

“Die Bombardierung der Telekommunikationsinfrastruktur bringt die Zivilbevölkerung in ernste Gefahr. Rettungswagen und Zivilschutzteams können Verletzte nicht mehr lokalisieren, auch nicht die Tausenden von Menschen, von denen angenommen wird, dass sie noch unter den Trümmern sind. Zivilisten können keine aktualisierten Informationen mehr darüber erhalten, wo sie humanitäre Hilfe erhalten können und wo sie vielleicht weniger in Gefahr sind.”

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Über 40 Prozent der Bildungseinrichtungen im Gazastreifen wurden seit Beginn des Angriffs getroffen, darunter 38 Schulen, die zerstört und/oder schwer beschädigt wurden, 75, die mäßigen Schaden erlitten haben, und weitere 108 mit geringfügigem Schaden.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Israel verhindert, dass alle Lebensmittel, Hilfsgüter, Medizin oder sonstige Lieferungen zu den 2,1 Millionen Bewohnern des Gazastreifens gelangen. Die normalen täglichen Lkw-Lieferungen von Waren in den Gazastreifen betragen 450 bis 500 Lastwagenladungen pro Tag mit allen Arten von lebenswichtigen Gütern aller Art. In den letzten 23 Tagen durften nur 81 Lastwagen mit etwas Nahrung und medizinischen Hilfsgütern einfahren.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Niemand kann den Gazastreifen verlassen oder betreten, was ein klarer Verstoß gegen das Menschenrecht auf Freizügigkeit ist.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Die Abschaltung der Elektrizität hat viele Abwasserpumpstationen zum Stillstand gebracht, und überall auf den Straßen tritt Abwasser aus, was die Gefahr von durch Wasser übertragbaren Seuchen mit sich bringt.

Was hat das mit dem Kampf gegen die Hamas zu tun?

Die Säuberung von Gaza-Stadt und den nördlichen Dörfern und Lagern, indem man alle Bewohner zwingt, ihre Häuser zu verlassen, stellt einen klaren Verstoß gegen das Internationale humanitäre Recht dar. Seit mehr als 30 Jahren arbeite ich im humanitären Bereich mit Save The Children International, Action Against Hunger und vielen anderen Organisationen. Auch meine Frau, die beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, Humanity and Inclusion und vielen anderen internationalen humanitären Organisationen gearbeitet hat, wir haben Internationales humanitäres Recht studiert. Wir haben daran geglaubt, wir haben gelernt, dass diese Gesetze Gerechtigkeit bringen und jede Schaden an Zivilisten und unschuldigen Menschen verhindern sollten. Besonders in Kriegszeiten.

Unsere Tochter folgt unseren Fussstapfen. Sie hat Jura an der Universität studiert und studiert nun im Ausland für einen Master-Abschluss in Menschenrechten und Demokratie.

Warum sollten nur wir uns an das Internationale Menschenrechtsrecht und das Internationale humanitäre Recht halten? Warum nicht die anderen: die Starken, diejenigen, die töten, diejenigen, die die Fähigkeit haben, Zivilisten und unschuldigen Menschen den Zugang zu grundlegenden Bedürfnissen zu verwehren? Nur weil sie es können? Warum?

13) Hossam Madhoun im Gazastreifen Ein weiterer Tag: 

Wie an jedem anderen Tag ging ich auf den Markt. Es ist nicht mehr der Markt, den ich kenne. Mehr als die Hälfte der Geschäfte, die Gebäude auf beiden Seiten der Straße, waren zerstört und beschädigt. Die Straße ist sehr schwarz, voller Staub und Trümmer, zerbrochenes Glas, Stücke von Türen und Fenstern, Strom- und Telefonkabel erstrecken sich entlang der Straße, gefallen von den Masten. Schmutziges Wasser vermischt mit Abwasser, da die Infrastruktur getroffen wurde und viele unterirdische Rohre beschädigt wurden. Überall Müllhaufen, keine Müllabfuhr, kein städtisches Personal, um die beschädigten Wasser- und Abwasserleitungen zu reparieren. 

Laufe an der Bäckerei vorbei, niemand wartet in der Schlange, die Leute stehen in einer großen Menge und schreien sich an, kämpfen um die Reihenfolge. Einige Männer und Frauen kämpfen, schlagen sich mit den Händen, andere versuchen erfolglos, die Menge zu beruhigen, der Bäckereibesitzer schließt die Bäckereitür. Das hat die Leute noch wütender gemacht. 

Laufe an einer Schule vorbei, ein weiterer Kampf und mehr Geschrei, die Leute haben die Nerven verloren, sie regen sich über jede Kleinigkeit auf oder sogar ohne Grund. Wer kann es ihnen verübeln? Kein Wasser, kein Essen, keine Toiletten, keine Privatsphäre, keine Würde, keine Hoffnung. Nur Verzweiflung und Angst. 

Lief weiter Richtung Salahaddeen Street, ohne Ziel. 

Einige Männer trugen Säcke mit 35 Kilo Mehl, ich fragte einen von ihnen, wo er es gekauft hatte. 

„Es gibt eine Mühle in der Straße 20.“ 

„Kann ich dort noch etwas finden? Oder ist es vielleicht ausverkauft?“ 

„Ich glaube, du kannst noch etwas finden.“ 

Hier bin ich jetzt, laufe mit einem Ziel vor Augen. In den letzten 3 Tagen hatten wir kein Kochgas mehr, wir kochen jetzt unser Essen und Brot auf einem Feuer. 

Erinnerte mich an einen Kollegen, der in der Straße 20 wohnt, rief ihn an und sagte, dass ich in der Nähe bin. Er sagte mir, dass ich zu ihm kommen solle und dass er in 15 Minuten nachkommen werde, da er jetzt im Supermarkt sei. 

Ging an der Mühle vorbei und kaufte das Brotmehl. Ich trug es etwa 70 Meter zu seinem Haus. Sein Vater, der mich kennt, war sehr freundlich, er hieß mich willkommen und bot mir Kaffee und Kekse an. Er holte einige Plastikstühle heraus, und wir setzten uns vor sein Haus. Wir unterhielten uns hauptsächlich über den Krieg und den Kampf der Menschen, die grundlegenden Bedürfnisse zu sichern. Wir sprachen über die Menschen, die wir beide kennen, die getötet oder verletzt wurden oder Geschwister oder ein Zuhause verloren haben. 

15 Minuten später, als mein Kollege ankam, sah er erschrocken aus, voller Staub und Sand. Er hatte gerade den Supermarkt verlassen, als er von einem israelischen Luftangriff bombardiert wurde. Er überlebte, sah aber viele Menschen um sich herum, die tot oder verletzt waren. Er konnte nicht stehen bleiben, aus Angst, dass ein weiterer Angriff kommen würde. Das ist schon oft passiert: Menschen laufen zu verletzten Menschen, um zu helfen, und es gibt einen weiteren Angriff am selben Ort, bei dem mehr Menschen getötet und verletzt werden. 

15 Minuten, bis er wieder ruhig war und normal sprechen und atmen konnte. Ich spürte, dass ich gehen musste. Ich fragte sie, ob ich das Brotmehl bei ihnen lassen könnte, bis ich einen Weg finde, es zum Haus meines Schwiegervaters zu bringen. Das ist über 3 Kilometer entfernt; ich glaube nicht, dass ich es schafe, die Strecke 35 Kilo zu tragen. 

Abeer und ihre Schwester warteten auf mich im Haus ihres Cousins, der mitten im Lager in der Nähe des Hauptmarktes lebt. Sie hatte gerade ihre Arbeit in der Schutzschule beendet, hatte die schmutzigen Verbände von verletzten Menschen gewechselt, einer Mutter bei der Geburt geholfen und einige Hilfsmittel verteilt. Ihr Cousin beherbergt zwei vertriebene Familien von Freunden und Kollegen von seiner Arbeit im Gaza-Kraftwerk. Als ich sein Haus erreichte, gab es Geschrei und Schreien. Die beiden Familien stritten sich drinnen über einen Konflikt zwischen ihren Kindern. 

Abeer und ihre Schwester kamen heraus, und wir gingen nach Hause. 

Als ich nach Hause kam, hatte meine Mutter mich viele Male gerufen. Sie wollte auf die Toilette gehen. Niemand dort konnte sie vom Bett zur Toilette tragen. Sie konnte es nicht mehr zurückhalten, sie machte im Bett. Ich war sehr frustriert. Ich brachte sie ins Badezimmer, reinigte sie mit kaltem Wasser. Sie verfluchte mich, schrie mich an, sie wusste nicht, dass warmes Wasser jetzt ein Luxus ist, den wir nicht bieten können. Ich war wirklich wütend, hielt mich aber zurück und reagierte nicht. Ich wusch sie fertig, zog ihr saubere Kleidung an, brachte sie ins Bett, brachte ihr etwas zu essen und gab ihr ihre Medikamente. Zurück zum Badezimmer, ihre Kleidung waschen, kein Strom, keine Waschmaschine, also mit der Hand in einem Plastikkanister. Wasser aus dem Fass im ersten Stock holen, es mehrmals in den zweiten Stock bringen. 

Während ich auf dem Boden saß und ihre Kleidung wusch, versuche ich, meine Wut und Frustration zu kontrollieren. Ich erinnerte mich an meine Kindheit. Es gab keine Elektrizität in der Stadt, als ich Kind war, sicherlich keine Waschmaschinen. Wir waren 5 Brüder und 4 Schwestern und mein Vater und meine Mutter. Meine Mutter hat damals die gesamte Wäsche für die gesamte Familie gemacht, nicht nur das Waschen ,sondern auch das Kochen,Saubermachen,Umarmen und so viel mehr. Ich fühlte mich schlecht,aber nicht mehr verärgert,nicht mehr frustiert . Nur erschöpft.

Ich wusch meinen  Körper und meine Kleidung und hing die Sachen auf die Wäscheleine.Das Mittagessen war fertig,wir assen alle unten.Ich ging in mein Zimmer. 

Übrigens, heute hab ich auf dem Markt Kopfhörer für mein Handy gekauft, damit ich das Radio app hören kann. Radios funktionieren nur mit Kopfhörer am Handy.Das wusste ich nicht.

Ich lag auf meiner Matratze, steckte die Kopfhörer ein und öffnete das Radio App. Vom einem Kanal zum anderen, nur Nachrichten über den Krieg, die Toten und Verletzte werden gezählt, politische Analytiker mit der tiefen Stimme gut informerter Menschen, Reporter die brüllen, damit man sie überhaupt hören kann . Das alles brauch ich nicht. Wechsele zu anderen Kanäle und plötzlich…… Musik Ich kenne diesen Kanal. Es sendet klasssische Musik, nur Musik und nur klassische. Es war Mozart’s 15te Sinfonie, gefolgt von noch einer Sinfonie, dirigiert von Yuri Torchinsky. Ich legte mich hin, machte die Augen zu und schlief ein. Es war ein wohlverdienter Schlaf.

14) Lass Dir ein Titel einfallen, wenn Du es kannst. 28. Oktober 2023, 8:30 Uhr

Wir wachten auf und bemerkten, dass die Mobiltelefone kein Signal hatten. Normalerweise rufen wir Salma im Libanon als Erstes am Morgen an. Sie wird sich große Sorgen machen, wenn wir sie nicht anrufen. Ich entschied mich, zur Primary Health Care Unit des UNRWA (United Nations Refugee and Works Agency) mitten im Markt des Nuseirat-Lagers zu gehen. Dort kann ich Internet finden, um sie über WhatsApp zu kontaktieren.

Mit meiner Laptop-Tasche auf dem Rücken laufe ich 2,25 km von zu Hause zur Klinik.

Zerstörung auf beiden Seiten der Straße. Jeden Tag nehme ich diesen Weg zum Markt, und jeden Tag sind neue Häuser zerstört oder beschädigt. Viele dieser Häuser wurden über den Bewohnern bombardiert, viele Leichen geborgen, viele Leichen noch unter den Trümmern. Über 2000 Menschen werden vermisst, darunter 830 Kinder. Sie alle sind unter den Trümmern, es gibt keine Maschinen, um die Trümmer zu entfernen.

Nach 15 Minuten zu Fuß sah ich einen Esel, der einen hölzernen Karren zog, mit  einem  Mann darauf. Ich fragte, ob ich mich ihm anschließen könnte, und er hieß mich willkommen. Ich dachte mir, ich werde ein Foto machen, wie ich auf dem Esel reite. Das tat ich. Dann dachte ich, vielleicht sollte ich einige Fotos von der Straße machen. Das tat ich. Dann machte ich ein Selfie. Ich schaute mir das Foto an. Ich sehe gut aus. Vielleicht brauche ich einen Haarschnitt, aber ich sehe gut aus. Trotz allem und jedem sehe ich gut aus. Ich fühlte mich gut. Ich dachte mir, hey, ich lebe noch, meine Familie auch. Ich werde nicht aufgeben. Der Markt wie immer voller Menschen, aber offensichtlich nicht voller Leben. Ich ignorierte diesen Gedanken, ich bin am Leben.

Bei der Ankunft in der Klinik: kein Internet, keine Telefone, keine Handys, die Israelis haben alles abgeschnitten. Mein Gott, meine Tochter?!!! Sie wird aus den Nachrichten erfahren, dass wir sie nicht erreichen können, sie uns auch  nicht. ‘Mein Herz ist bei dir, mein Baby, ich denke an dich, ich wünsche mir, dass meine Gedanken zu dir gelangen und dir versichern, dass wir dich lieben und noch am Leben sind.’ Eine alleinige Tochter im Ausland hat niemanden auf der Welt außer ihren Eltern. Salma.

Ich ließ meinen Laptop in der Klinik zum Aufladen und ging zurück zum Markt. Waren werden im Markt knapper, was du heute findest, fidnest du vielleicht morgen nicht mehr, Preise steigen immer weiter. Ich habe eine Liste von Einkäufen, einige Artikel fand ich nicht mehr: Kerzen, Linsen und Brotmehl. Jeder Laden, den ich frage, sagt, suche erst gar nicht, es gibt die nicht, seit 21 Tagen gelangen keine Waren irgendeiner Art nach Gaza. Ich kaufte größere Mengen Reis und Kochöl, Dosenbohnen und Dosenfleisch für meinen Hund, Buddy.

Ging zur Bank, besser gesagt zum Geldautomaten. Banken sind seit dem 7. Oktober nicht mehr in Betrieb. Der Automat ist geschlossen. Habe noch etwas Bargeld zu Hause, es wird unsere Bedürfnisse noch einige Tage decken, ich werde es an einem anderen Tag mit dem Geldautomaten versuchen.

Ich war nicht weit von dem Haus meines Kollegen entfernt, wo ich das Brotmehl vor ein paar Tagen gelassen hatte. Ich setzte meinen Weg fort, kam an, und sein Onkel, ein alter Freund, saß draußen; er hatte Zuflucht bei seinem Bruder gefunden, nachdem seine Wohnung zerstört wurde, als sie das Gebäude bombardierten, in dem er im Gazastreifen lebt.

Es war eine angenehme Überraschung, ihn und seine ganze Familie wohlbehalten zu sehen. Sie waren einen Tag vor dem Bombardement aus dem Gebäude geflohen, sagte er. 

‘Weißt du, was mit Nael passiert ist?’ fragte er.

Nein, was?’ 

‘Am 18. war er noch zu Hause, als schwere Bombardements in seiner Nachbarschaft stattfanden. Sie entschieden sich zu gehen, obwohl es dunkel war. Sie sprangen ins Auto, mit nichts, fuhren bis zum Al-Shifa-Krankenhaus, um bis Tagesanbruch vorübergehend Schutz zu suchen. Als sie ankamen, merkten sie, dass sein ältester Sohn nicht da war. Sein 23-jähriger Sohn war nicht im Auto, er wurde zurückgelassen. Sie gerieten in Panik; keinen Weg zurück, absoluter Selbstmord. 

Sie begannen, den Sohn anzurufen, das Handy klingelte, aber niemand antwortete. Dunkle und schlechte Gedanken füllten ihre Köpfe, die Mutter wurde ohnmächtig, der Vater begann, alle anzurufen und zu sagen: ‘Ich habe meinen Sohn verloren, ich habe meinen Sohn zu Hause vergessen.’ Mehrere Freunde, auch ich, riefen weiter an. Das Handy klingelte, aber niemand antwortete. Das ist ein sehr schlechtes Zeichen. Es bedeutet, dass ihm etwas passiert ist. Stunden schienen wie eine Ewigkeit, bis es hell wurde. Der Vater fuhr zurück nach Hause, das Haus stand immer noch, er betrat das Haus und rief laut den Namen seines Sohnes. Schließlich hörte er seinen Sohn mit sehr schwacher Stimme antworten: ‘Ich bin hier.’ Er bewegte sich in Richtung der Stimme. Sein Sohn kauerte, machte sich so klein wie möglich, zitternd unter der Treppe. Sein Handy war 2 Meter von ihm entfernt. Er war in einem Schockzustand, solche eine absolute Angst, sodass er nicht einmal kriechen konnte, um das Handy zu holen und zu antworten. Ohne Worte nahm er seinen Sohn mit, verließ das Haus und fuhr zum Al-Shifa-Krankenhaus, holte den Rest der Familie ab und fuhr nach Rafah.’

Ich ließ mir am Abend die Haare schneiden.

15) Salma Madhoun in Beirut

 Nach 30 Stunden: Hossams Tochter Salma in Beirut: Nachricht an Jonathan Chadwick in London

Gestern Abend, nach 30 Stunden ohne Nachricht von meinen Eltern, fand ich die Dokumentation meines Vaters über diesen Gaza-Krieg, als ich in den sozialen Medien nach einem Funken Hoffnung suchte, an den ich mich klammern konnte. Ich bat ihn, mir diese Dokumente vom Beginn des Krieges zu schicken, aber er tat es nicht, weil er nicht wollte, dass ich über ihr Elend und Leiden lese. Aber ich fand sie zufällig, als ein ausländischer Familienfreund sie hochlud, damit die Menschen verstehen, was in Gaza vor sich geht.

Vielleicht haben Hunderte andere die Dokumente meines Vaters gesehen, aber es fühlte sich an, als wäre ich die Einzige, die es getan hat; die Einzige, die den Schmerz mit ihnen erträgt. Ich bin die Einzige, die sie fühlt und versteht; die Einzige, die vielleicht wünscht, in ihren Schuhen zu sein, während sie in meinen sind, diejenige in Gefahr zu sein, während sie sicher sind.

16) Frühwarnung, Halluzinationen und Schlaflosigkeit , Hossam Madhoun im Gazastreifen

Ein Nachbar, 20 Meter vom Haus meines Schwiegervaters entfernt, erhielt einen Anruf von der israelischen Armee, sein Haus zu evakuieren, da sie es bombardieren und zerstören werden würden. Er hat bis 16 Uhr Zeit zu gehen. Es war 12:30 Uhr. Alle Nachbarn in der Nähe begannen sich auf dem Weg zu begehen, nahmen mit, was sie tragen konnten, das absolute Minimum an Grundbedürfnissen. Abeer buk Brot, und ich wusch meine Mutter, als wir die Nachricht erfuhren. Wir waren verwirrt. Was tun? Abeer bat mich, mich zu beeilen und meine Mutter vorzubereiten; sie würde weiterbacken. Gleichzeitig befahl sie ihren Schwestern, sich auf die Flucht vorzubereiten. Ich legte die Evakuierungstaschen, die wir zuvor vorbereitet hatten, ins Auto und fuhr 2 Straßen von unserem Zuhause entfernt.

Alle bewegen sich hysterisch, in alle Richtungen, ängstlich, schweigsam. Ich setze meine Mutter in ihren Rollstuhl, mein Schwager setzt unsere Schwiegermutter in ihren Rollstuhl. Abeer beendet das Backen, wickelt das Brot in ein Stück Stoff, und wir verlassen das Haus. Abeers Vater bat uns, ihm zu folgen. 80 Meter von seinem Zuhause entfernt ist das Haus seines Freundes, ein großes Haus mit einem Vorgarten und einem Garten mit einigen Bäumen und Pflanzen. Der Freund empfing uns sehr herzlich mit seiner Familie. Frauen und Mädchen saßen auf der linken Seite des Gartens, Männer auf der rechten Seite. Es war 14:22 Uhr. Der Vermieter bot uns Kaffee an, und den Frauen auch Kaffee und Kekse.

Warten, eines der unangenehmsten Worte für mich. Ich hasse es zu warten. Jetzt ist es, als säße ich auf glühenden Kohlen.

Ich muss einen sichereren Ort finden. Nach Hause nach Gaza zurückzukehren, ist unmöglich, absoluter Selbstmord. In den Süden nach Khan Younis oder Rafah zu gehen. In Khan Younis kenne ich niemanden. Außerdem sind die Schulen bereits überfüllt, wir würden überhaupt keinen Platz finden. Ein Freund in Rafah rief mich vor 2 Wochen am 12. Oktober an, als wir unser Zuhause varlassen mussten, um mir eine Wohnung anzubieten, steht leer seit dem Tod seines älteren Bruders. Ich erinnerte mich an ihn. Das war vor 13 Tagen, seither hat sich vieles geändert.Ich nehme an, er hat Familienmitglieder aufgenommen. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, also schickte ich ihm eine Nachricht anstelle anzurufen. Wie ich erwartet hatte, ist sein Zuhause mit vertriebenen Verwandten, Tanten, Onkeln, Nichten mehr überfüllt .

Ich rufe einen anderen Freund an, und noch einen, kein Platz, alle Wohnungen, alle Schulen sind überfüllt mit Vertriebenen. Nach der Zerstörung von 50% oder mehr der Wohneinheiten im Gazastreifen durch die israelische Armee in den letzten 2 Wochen, werden 2,1 Millionen Menschen in einen Raum für nur 1 Million gezwängt. Was kann ich erwarten?

Wir sitzen im Garten, ich rauche und rauche, meine Denkfähigkeit ist gelähmt. Es ist 16 Uhr, nichts passiert, 16:30 Uhr, nichts passiert! Was tun? Die Dunkelheit wird bald hereinbrechen; nach Einbruch der Dunkelheit ist keine Bewegung mehr möglich. Die Stimme meiner Mutter, die von der anderen Seite des Gartens Geschichten über alles und nichts erzählt. Sie ist unfähig, die Realität unserer Situation zu erkennen.

Es gab kein Zeichen vom Nachbarn, dass wir bleiben könnten. Wir verstehen, wir können sehen, wie viele Menschen er beherbergt; viele Frauen kamen von drinnen, um unsere Damen zu begrüßen und zu empfangen, viele Männer kamen, um uns zu empfangen; es gibt viele Kinder um uns herum, seine Söhne und deren Ehefrauen und Kinder, seine Töchter und deren Ehemänner und Kinder.

Ich sprach mit meinem Schwiegervater und meiner Frau. Wir müssen jetzt entscheiden, was zu tun ist, wir können nicht warten, bis es dunkel wird, denn dann wäre es zu spät zum Handeln.

Es ist nicht sicher, dass sie es heute Nacht bombardieren werden; der Supermarkt auf dem Markt, der vor 3 Tagen bombardiert wurde, erhielt den gleichen Warnanruf 4 Tage vor dem Angriff.

Wir beschließen, zurückzugehen. Wir werden alle am weitesten östlichen Teil des Raumes schlafen, fern von den Fenstern, und morgen werden wir nach einer anderen Lösung suchen, wenn wir die Nacht überleben.

Die Nacht ist hier ein Albtraum, unter Beschuss, die Bombardierung eskaliert in der Nacht.

Wir haben das Bett meiner Mutter aus dem zweiten Stock geholt, sie in die Ecke des Zimmers gestellt. Es ist dunkel. Meine Mutter hat seit gestern Abend Halluzinationen, sie sieht Bilder und Menschen. Sie sagt den Menschen, sie sollen gehen, sie bittet diese Tänzer aufzuhören zu tanzen, sie ruft Kinder auf, aufzuhören, Wasser auf sie zu spritzen, sie sagt dieser Dame ständig, sich von ihr fernzuhalten. Diese Dame, die ihr Gesicht zu nahe an das meiner Mutter bringt, erschreckt meine Mutter und lässt sie schreien. Ich schaue das Gesicht meiner Mutter in diesen Momenten an, ihre Augen ganz weit offen, starren ins Leere. Ihr Gesicht sieht so panisch aus. Ich versuche, sie zu beruhigen, nichts funktioniert, besonders wenn ich sage, dass niemand hier ist, schreit sie: “Warum siehst du sie nicht? Warum hilfst du mir nicht? Warum forderst du sie nicht  auf zu gehen? Stehst du auf ihrer Seite?” Ich kann nichts tun außer zu weinen.

Um 2:00 Uhr war es für alle zu viel. Ich trug sie wieder in den zweiten Stock. Vielleicht werden ihre Rufe und Schreie die anderen nicht erreichen, damit sie schlafen können. Die Halluzinationen gehen weiter.

Es ist 6:30 Uhr morgens, die Morgendämmerung, noch nicht ganz hell, und meine Mutter hat immer noch weit geöffnete Augen, und ich zerbreche. Ich vergaß die Gefahr, der ich meine Mutter und mich aussetzte, indem ich mich im anfälligen zweiten Stockwerk aufhielt, das am stärksten beschädigt würde, wenn der Angriff auf unseren Nachbarn stattfinden würde.

7:45 Uhr. Endlich ist meine Mutter ruhiger und stiller, sie bittet um Frühstück. Abeer kam, um ihr das Essen zu geben, und ich schlafe im zweiten Stock ein.

17) Botschaft von Shouq Alnajjar in Khan Younis im Süden des Gazastreifens

Hinweis: Shouq arbeitet mit Az Theatre und Theatre for Everybody an der nächsten Phase unserer Zusammenarbeit – dem AUGUST 9th PROJECT. Dabei arbeitet er mit jungen Talenten im Gazastreifen, um eine neue Produktion über die Anliegen junger Menschen und alter Menschen, zu entwicklen! Der Titel bezieht sich auf das Datum, an dem das Al Mishal Cultural Centre 2018 durch Luftangriffe zerstört wurde. Jonathan Chadwick ist Direktor von Az Theatre in London.

Lieber Jonathan,

ich entschuldige mich erneut, dass ich deine Anrufe verpasst habe. Ich habe etwas geschrieben, ich teile jetzt mit dir.

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Wir stecken jetzt seit 26 Tagen in diesem Albtraum fest.

Vor etwa drei Wochen zerstörten Luftangriffe unsere Nachbarschaft in Gaza Stadt, und wie viele andere mussten auch wir fliehen und unser Haus verlassen. Mein Mann und ich haben vor einem Jahr unser Eheleben in diesem Haus begonnen, das jetzt in Trümmern liegt. Wir konnten nur die wichtisgten Dokumente mitnehmen und ließen die Erinnerungen und bedeutungsvollen Geschenke zurück, die unser Haus zu einem Zuhause gemacht hatten. Es war herzzerreißend, alles so einfach zurückzulassen. Aber über diesen Verlust Tränen zu vergießen, scheint im Vergleich zu den verlorenen Leben, ausgelöschten Familien, Kindern, die ihr Leben verlieren oder zu Waisen werden, klein.

Wir sind derzeit in Khan Younis und wohnen bei meiner Familie, teilen uns einen Raum mit über 150 Verwandten und Freunden, darunter mindestens 30 Kinder.

Worte versagen dabei, die Situation zu beschreiben. Das tägliche Leben ist ein Kampf um das Notwendigste, ohne fließendes Wasser, Strom oder Zugang zu sauberem Wasser. Lokale Bäckereien und Geschäfte sind überfordert, kämpfen, um der Nachfrage nach Brot und anderen Lebensmittelvorräten nachzukommen.

Wir erleben das Unvorstellbare. Unsere Herzen sind gebrochen, die Seelen schmerzen, und wir sind ausgelaugt, müde, gestresst und frustriert. Wir bekommen kaum Schlaf. Wir leben in ständiger Angst, und das Überleben erscheint ungewiss. Drohnen in der Luft summen ununterbrochen wie eine ständige Erinnerung an die Gefahr.

Bombenangriffe passieren von Zeit zu Zeit überall. Am furchterregendsten und längsten, sind die Nächte, dann regenen die Bomben über Gaza kontinuierlich. Wir wissen nicht, wann wir dran sind, aber wir erwarten, jeden Moment bombardiert zu werden.

Jeder Bombenangriff schickt Schauer über unseren Rücken, besonders bei den Kindern, die nicht verstehen, warum ihre Welt zu einem Albtraum geworden ist. Mütter fühlen sich hilflos, machtlos, bemühen sich, ihre Kleinen zu trösten. Aber Kinder sehen den Schrecken in den Augen ihrer Mütter.

Rund 1,4 Millionen Menschen sind aus ihren Häusern geflohen; die Hälfte von ihnen hält sich an Schutzräumen wie UNRWA-Schulen und Krankenhäusern auf, ohne Zugang zu Nahrung, fließendem Wasser, Trinkwasser, Medikamenten oder warmen Kleidern.

Niemand und nirgends ist sicher.

Orte, die einmal ein sicherer Hafen und eine Zuflucht für Bedürftige waren, wie von internationalen Gesetzen anerkannt, wie Krankenhäuser, Schulen, Moscheen und Kirchen, werden ständig von der israelischen Besatzung bedroht und bombardiert.

Wie viele Leben müssen verloren gehen, damit die Welt innehält und Israel für seine Verbrechen über Jahrzehnte hinweg zur Rechenschaft zieht?!

Für diejenigen, die sagen, sie könnten nicht glauben, dass dies im Jahr 2023 passiert, möchte ich sagen: Seien Sie nicht überrascht, denn die israelische Besatzung kommt schon seit langem ungestraft davon, bricht endlose internationale Gesetze, begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit und unzählige Massaker.

Das Leiden der Palästinenser erstreckt sich weit über die aktuelle Krise hinaus,  reicht über 75 Jahre Besatzung und Apartheid zurück. Ganz besonders Gaza ist ein deutlicher Hinweis auf diese fortlaufende Ungerechtigkeit. Das Schweigen der Welt zu den Massakern und dem Völkermord in Gaza und Palästina ist eine herzzerreißende Erinnerung daran, dass in den Augen vieler, die in Palästina verlorenen Leben irgendwie weniger bedeutsam sind.

Dieser barbarische israelische Angriff zerreißt unsere Leben, verwandelt mein geliebtes Gaza in Ruinen und hinterlässt Narben, die ein Leben lang bleiben werden. Unser geliebtes Gaza blutet, und wir schreien, damit die Welt unsere Rufe hört…

18) Nummer 4, mit Nullen und ohne (Teil 1) Hossam Madhoun in Gaza

Seit 2 Tagen habe ich nichts geschrieben. Ich weiß nicht warum. Vielleicht doch! Ich habe keine Lust dazu, es hilft nicht, es ändert nichts, Zeitverschwendung und Grübelei, mich selbst, meine Gefühle, meinen Schmerz, meine Emotionen, meine Privatsphäre, meine Tränen bloßzustellen. Warum? Wozu?

Was auch immer wir tun, es ändert nichts; was auch immer wir nicht tun, es ändert nichts. Die Tötungsmaschine verfolgt uns weiterhin, wohin wir auch gehen, kein Ausweg, keine Möglichkeit zu entkommen, einfach sitzen und warten, bis wir zur Schlachtung an die reihe kommen. Jeden Tag erfahren wir von jemandem, den wir kennen, der im Bett getötet wurde, der auf der Straße ging, der in seinem Badezimmer duschte, der beim Kochen für seine Familie getötet wurde, der beim Spielen zu Hause oder auf der Straße getötet wurde.

Aber ich weiß, dass ich nicht schreibe, um etwas zu ändern. Ich schreibe nicht, um irgendetwas zu ändern. Ich schreibe für mich selbst. Ich schreibe, weil ich noch am Leben bin. Ich schreibe, weil es mich lebendig fühlen lässt. Ich werde schreiben, bis ich meine Augen das letzte Mal schließe, oder bis ich aus irgendeinem anderen Grund nicht mehr schreiben kann. Ich werde weiter schreiben.

Gestern bombardierten die Israelis eine Nachbarschaft innerhalb des Flüchtlingslagers Jabalia, einen ganzen Block. Block 6. Jabalia Camp, 1 Quadratkilometer groß, mit 115.000 Einwohnern, der dichtest besiedelte Ort auf der Erde. 400 Menschen wurden innerhalb eines Wimpernschlags getötet und verletzt, verschwanden, existieren nicht mehr. 400 Menschen mit einem Schlag. Hunderte Verletzte, kein Krankenhaus hat die Kapazität, sie zu behandeln. Mehr als 40 Häuser komplett zerstört, und viele Menschen wurden getötet, während sie auf der Straße liefen. Es war 4 Uhr morgens, als sie mit 6 Sprengkörpern aus der Luft angegriffen wurden.

400 Menschen jeden Alters, Föten im Bauch ihrer Mütter, stillende Babys, kleine Kinder, Jungen und Mädchen, Teenager und Jugendliche, Männer und Frauen, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Eine ganze Gemeinschaft. Verschwunden. Einfach so, weil jemand in Israel glaubte, dass er es tun könnte, also tat er es.

Ich hörte die Nachrichten im Radio, live, Menschen schrien, schrien, der Reporter sprach laut, um über den Lärm und das Chaos um ihn herum gehört zu werden, einer der Reporter, der dort lebt, schrie, dass seine Familienmitglieder zu den 400 gehören.

Meine Familie um mich herum sprach alle gleichzeitig darüber. Ich war der Einzige, der nichts sagte. Was kann man in solch einer Situation sagen? Welche Worte würden ausdrücken, was ich fühle?

Ich ließ die Familie unten und ging in mein Zimmer, zu meiner Matratze. Ich legte mich hin, schloss die Augen, Tränen auf meinen Wangen, und plötzlich bin ich da, in dieser Nachbarschaft, nur wenige Minuten vor dem Angriff…

Ich gehe durch die engen Gassen des Lagers, viele Kinder , die spielen, Männer, Frauen laufen vorbei, kommen heraus oder kehren zurück. Ich laufe und schaue mir diese armen Häuser an, Häuser, die vor 71 Jahren von der UNRWA für die palästinensischen Flüchtlinge erbaut wurden, die gezwungen waren, ihre Häuser in ihrer Heimat, im heutigen Israel, zu verlassen. Niedrige Dächer, kein Platz zwischen den Häusern, die Straße ist maximal 4 Meter breit, einige andere Straßen gerade breit genug für Autos, die mit einigem Aufwand langsam hindurchfahren können. Die Fenster sind auf Augenhöhe eines durchschnittlichen Mannes. Leicht zu hören, was die Leute in ihren Häusern reden, auf beiden Seiten der Wände sind Wäscheleinen mit Kinderkleidung aufgehängt. Die Straßen sind sandig, alle paar Meter Abwasserlecks, da es keine Abwasserinfrastruktur im Lager gibt. Die Leute haben Sickerbrunnen für das Abwasser gegraben, mit der Zeit füllen sie sich und lecken in die Straßen.

Ein großes Geräusch kommt vom nahegelegenen Markt.

Ich blieb stehen. Ich öffnete die erste Tür. Trat ein. Ich war unsichtbar, die Leute im Haus sahen mich nicht, spürten nicht, dass ich da war. Es war ein Vorgarten. Eine Frau etwa 37 Jahre alt neben einem kleinen Gaskocher mit einem Topf darauf, sie kochte, es ist Kohl im Topf. Schönes Lächeln, 3 Kinder spielen um sie herum, ein 7-jähriges Mädchen spielt mit einer Puppe, und 2 ältere Jungen rennen hinter einander her, und die Mutter ruft ihnen zu, leise zu sein. Auf der anderen Seite des Vorgartens wäscht eine andere Frau Kleidung in drei Eimern, einen mit Seife und die anderen beiden mit sauberem Wasser. Eine andere Frau nimmt die gereinigten Kleider und hängt sie an eine Wäscheleine, die zwischen einem Fenster rechts, über den gesamten Vorgarten und dann außen am Haus angebracht ist.

In der Ecke des Vorgartens, ein kleines Zimmer. Die Tür ist geöffnet, es ist eine Außentoilette, ein 42-jähriger Mann kommt heraus und fragt: „Wie lange dauert es noch bis zum Essen?“ „10 Minuten“, antwortet die Frau. „Hast du die Medizin für deinen Vater besorgt?“, fragt sie. „Ich werde sie nach dem Mittagessen holen, es ist noch nicht 16:00 Uhr [4:00 pm] .“ Er geht ins Haus. Ich folgte ihm.

Im Haus, ein Wohnzimmer und zwei kleine Zimmer auf beiden Seiten. Im Wohnzimmer eine Reihe von Matratzen, die direkt aneinander liegen, ein alter Mann liegt, 4 junge Männer in einer Ecke spielen Karten. Der Mann geht raus und schließt die Tür. Er betritt eines der Zimmer. Im Zimmer steht eine Wiege mit einem schlafenden Baby. Der Mann betritt es leise, damit das Baby weiter schläft. Er wechselt sein Hemd, trägt etwas Deodorant auf. Er geht zum zweiten Zimmer, 4 Männer schlafen. Er weckt sie auf: „Das Essen wird in 10 Minuten fertig sein. Steht auf.“ 2 rühren sich träge, die anderen beiden tun so, als ob sie nichts hören würden. Der Mann ruft erneut: „Steht alle auf. Es ist 15:55 Uhr [3:55 pm] . Ihr könnt nicht weiter schlafen.“ Mit verschlafener Stimme antwortet einer der 4: „Aber wir sind gerade erst eingeschlafen. Die Bomben und Explosionen lassen uns nicht schlafen. Die ganze Nacht, den ganzen Tag, Bombardierung.“ Er geht. Der alte Mann im Wohnzimmer fragt ihn: „Hast du meine Asthmamedizin mitgebracht? Ich sollte sie nach dem Mittagessen nehmen, spätestens um 16 Uhr [4:00 pm] .“ „Noch nicht“, antwortet er. „Ich werde nach dem Mittagessen zur Apotheke gehen, ich verspreche, ich werde nicht später als 16 Uhr [4:00 pm] sein, ich verspreche es.“

Tick, tack, tick, tack, tick, tack… 16 Uhr [4:00 pm] . Booooom!

Lassen Sie uns zu 15:45 Uhr [3:55 pm] zurückkehren.

Ich ging hinaus in das nächste Haus 

Fortsetzung folgt…

19) Nummer 4, mit Nullen und ohne  (Teil 2) 

Heute habe ich eine Nachricht von meiner Schwester erhalten, die in einem UNRWA-Schutzschulhaus im Flüchtlingslager Deir El Balah im mittleren Bereich des Gazastreifens Zuflucht gesucht hat, 10 km von meinem Wohnort entfernt, so weit wie die Erde vom Mond. Keine Möglichkeit, sie zu erreichen, ohne mein Leben zu riskieren. Sie und ihre 4 Söhne, ein kleiner Junge von 8 Jahren, ein Teenager von 15 Jahren, 2 junge Männer von 22 und 21 Jahren, und ihre Schwiegermutter, 82 Jahre alt, haben seit 2 Tagen nichts gegessen. Ihr kleiner Sohn hat Magenschmerzen, keine Ärzte, keine Grundversorgungseinheit, nur das Krankenhaus, das seine Dienste für die Hunderten von Schwerverletzten priorisiert. Ich rief einen meiner Kollegen an, der in Deir El Balah lebt; er ging hin und versorgte sie mit allem, was er konnte.

Ich rief meinen Bruder an, der zu Hause im Gazastreifen geblieben ist. Er ist nicht weggegangen, er wollte das Haus trotz der Gefahr nicht verlassen. Er sagte mir, dass er vor 2 Tagen das Haus verliess und in die nahegelegene Schule gezogen sei. Er erhielt eine SMS von der israelischen Armee mit der Aufforderung, sein Haus zu evakuieren, weil sie es bombardieren würden. Er rannte mit seiner Familie, seiner Frau, 3 Söhnen im Alter von 7, 16 und 17 Jahren und 2 Töchtern im Alter von 12 und 14 Jahren, heraus. Als sie hinausrannten, wurde ein anderes Gebäude nicht weit von ihnen entfernt bombardiert. Ein herumfliegender Stein aus dem Bombensanschlag traf seine kleine Tochter am Bein und brach es. Er trug seine Tochter, brachte die Familie zur Schule und trug seine Tochter weiter bis zum Krankenhaus. Sie behandelten das Mädchen; sie legten Gipsverband über ihr ganzes Bein. Er entschied sich, nach Hause zurückzukehren. Er erhielt die Warnung vor zwei Tagen, aber er möchte nicht in der Schule bleiben.

Konnte nichts sagen, konnte ihm nichts raten, was weiß ich schon?

Zurück in mein Zimmer, und das Bild von Block 6 im Flüchtlingslager Jabalia verlässt meinen Kopf nicht, ich sehe es jederzeit, versuche, es zu vergessen und weiterzumachen, aber keine Chance.

Wieder im Lager, Block 6…

Am ersten Haus vorbei und vor dem zweiten Hauses drängt ein Mann seine Familienmitglieder, sich zu beeilen, fragt seine Söhne:

„Das Taxi kommt um 16:00 Uhr [4:00 pm], wir müssen uns beeilen, habt ihr alles?“

„Hier sind die Kleidertaschen. Hier sind die Matratzen. Hier ist das Essen, das zu Hause übrig blieb. Hier ist deine Tasche mit allen wichtigen Dokumenten und Ausweisen. Was noch?“

„Wo sind die anderen?“

„Sie sind drinnen.“

„Was machen sie drinnen?“ (fragt er frustriert) „Das Taxi ist in 10 Minuten da, um Gottes willen.“

Er geht rein. Drinnen streitet seine Frau mit seiner Schwiegertochter.

„Ich kann diese Kleider nicht zurücklassen, sie waren ein Geschenk meiner Mutter, als ich mein erstes Kind geboren habe.“

„Aber im Koffer ist kein Platz.“

„Das ist mir egal, ich nehme sie mit.“

„Und du“ (zu ihrem Sohn) „Musst du wirklich 3 Paar Schuhe mitnehmen? Es gibt keinen Platz.“

„Das sind keine Schuhe, das ist mein Laptop.“

„Sollen wir den Gaszylinder zum Kochen mitnehmen? Sie haben vielleicht nicht genug.“

„Wenn im Taxi Platz ist, nehmen wir ihn mit.“

Sameer und Fatma, die 11 und 12 Jahre alt sind, streiten über Dinge, die sie mitnehmen wollen; Sameer will sein Fahrrad mitnehmen und Fatma ihre Schultasche und ihre Lieblingspuppe.

Der Vater versucht, sich zu beherrschen, spricht leise, aber scharf:

„Ist das wirklich das, was wir jetzt tun müssen? Über Dinge streiten, die mitzunehmen und nicht mitzunehmen sind? Haben wir uns nicht alle schon heute Morgen über das Ganze verständigt? Verlassen wir das Haus für immer? Wir kommen in ein paar Tagen zurück, also hört bitte auf, kommt alle jetzt raus. Noch 3 Minuten und das Taxi ist da.“

Sie gehen alle raus, der Vater schließt die Haustür, ein Nachbar kommt raus und sieht all das Gepäck auf der Straße.

„Was ist los, Abu Ahmad? Wo gehst du hin?“

„Wir fahren nach Rafah, zu meinem Bruder nach Hause. Die ganze Familie ist dorthin vertrieben worden; wir wollen zusammen sein. Es ist sicherer.“

„Bist du sicher, dass es in Rafah sicherer ist? Sie bombardieren überall.“

„So haben wir beschlossen. Wir werden alle zusammen sein, zusammen leben oder zusammen sterben, hier ist das Taxi.“

„Wo?“

„Da drüben, am Eingang zur Straße.

Tick, tack, tick, tack, 16 Uhr.[4:00 pm] … Boooom.

400 Menschen getötet und verletzt.

20) Geräusche 

Lege mich auf die Matraze hin, absolute Dunkelheit bis auf das schwache Licht einer armen, kleinen Kerze. Schliesse die Augen, in der Hoffnung, einzuschlafen, es klappt nicht. Zwei Tage und Nächte, keine einzige Minute Schlaf.

Es ist erstaunlich, wie die menschlichen Sinne stärker und empfindlicher werden, wenn man einen verliert, so wie bei Menschen, die nicht sehen können, wird ihr Gehör schärfer. Das passiert mir, wenn ich die Augen schließe.

Tagsüber viel Lärm, viele Geräusche, gemischte Klänge von Menschen, Gesprächen, Rufen, Bomben, Explosionen, Drohnen, Luftwaffenflugzeugen, die den Himmel in Stücke schneiden. Alles gemischt, sodass ich mich nicht auf ein bestimmtes Geräusch konzentrieren kann.

Im Dunkeln, in der vermeintlich vollkommenen Stille und während ich mit geschlossenen Augen liege, fing ich an , mich mehr auf die Geräusche um mich herum zu konzentrieren: das Geräusch einer Plastikplane, die das Fenster bedeckt und ihre Glasscheibe verloren hat, und sich in der nächtlichen Brise bewegt; das Atmen und Seufzen meiner Mutter neben mir; mein Herzschlag; das Quietschen der Feldschaben; das Geräusch eines Vogels, der spät zu seinem Nest zurückkehrt oder wegen eines explosionsartigen Geräusches aus seinem Nest fliegt; ein kleines Baby, das im Haus des Nachbarn in der Nähe weint, und seine Mutter wiegt es; das Rascheln von Ästen in den Bäumen, die sich leicht bewegen; der Ruf einer Eule aus der Ferne; Straßenhunde, die verrückt werden und bellen, wenn Bomben explodieren; Geräusche von kämpfenden Katzen.

All diese Geräusche bedeuten Leben, bedeuten Hoffnung, bedeuten, dass morgen trotz allem kommen wird.

Andere Geräusche kommen, überdecken alle andere Geräusche, lassen alle anderen Geräusche verschwinden, füllen die Luft und die Atmosphäre aus, dringen in die Stille ein, um zu sagen, dass der Tod kommt. Das Geräusch der militärischen Drohne, das einzige ähnliche Geräusch ist der elektrische Rasierapparat, hundertfach verstärkt und den Raum mit seinem nervigen Lärm füllt, den niemand auch nur für einen Augenblick ignorieren kann. Jede lebende Kreatur ist gezwungen, es zu hören, zu jeder Zeit. Menschen, Tiere, Vögel, Bäume, sogar Steine könnten vor dem Wahnsinn, den der Klang verursacht, zerbrechen. Es erinnert mich nur an eine Sache, das langsame Töten durch Folter im Mittelalter.

Die vorbeifliegenden Militärflugzeuge – F 15 – F 16 – F 32 – F weiß nicht was, durchschneiden den Himmel wie ein Messer durch ein Stück Butter, bringen den Tod, wohin sie auch gehen.

Das Geräusch des Artilleriebeschusses, boom. Jede Granate macht drei Geräusche, das Echo des wiederholten Klangs: boom, boom, boom, beginnt riesig und hallt dreimal weiter.

Das Geräusch der Raketenangriffe, sehr laut, sehr scharf. Wenn du es hörst, bist du am Leben. Es ist so schnell, dass wenn es dich trifft, wirst du es nciht hören. Jeder in Gaza, der die Rakete hört, weiß sofort, dass sie andere Menschen getroffen hat und Tod und Zerstörung hinterlässt. Das wissen wir alle aus Erfahrung; wir haben es auf die harte Tour durch mehrere Kriege gegen Gaza gelernt.

Sitze im Dunkeln, versuche, die lauten Todesgeräusche zu ignorieren und mich auf die kleinen Lebensgeräusche zu konzentrieren. Nicht einfach, aber das ist meine Art, die Nacht zu überstehen, in der Hoffnung, die Schlaflosigkeit für ein paar Stunden zu überwinden.

21) Worüber soll ich schreiben? 

Vier Tage ohne in meine Kriegstagebücher zu schreiben. Mein Kopf brodelt vor Dingen, über die ich schreiben möchte, aber womit soll ich anfangen?

Über meine täglichen Bemühungen, Trinkwasser, Haushaltswasser, Lebensmittel, Windeln für meine bettlägerige Mutter, Winterkleidung – da wir unser Zuhause mit leichten Kleidern verlassen haben, ohne zu denken, dass es so lange dauern würde – zu sichern? Über die Medikamente meiner Mutter – bei deren Beschaffung der Preis jedes Mal höher ist?

Über die Frustration und Wut der Menschen, die sich in Kämpfen und Streitereien entladen; Streit um ein Stück Brot, Streit um 20 cm Platz im Schutzraum, Streit um einen Tropfen Wasser, Streit um die Warteschlange für das Badezimmer, Streit um ein gesagtes oder nicht gesagtes Wort?

Über die Krankenhäuser, die bombardiert wurden und wegen fehlender Stromversorgung geschlossen wurden? Über die fortwährenden Bombardierungen und Tötungen und die Verletzten, die keine Hilfe finden?

Über Krankenhäuser, denen die gesamte lebenswichtigen medizinischen Versorgungsmitteln ausgegangen sind, sodass sie nun Amputationen an Verletzten ohne Betäubung durchführen?

Über den Mangel an Nahrung und zum Leben Allernotwendigsten, der zu echter Unterernährung führt?

Über die Zerstörung von Häusern, die jeden einzelnen Tag zunimmt?

Über meinen täglichen Kampf, jede nur mögliche Stromquelle zu finden, um meinen Laptop und mein Handy aufzuladen?

Über den überall auf den Straßen angehäuften Müll, da die Müllabfuhr gelähmt ist? Über Abwasser- und Wasseraustritte auf den Straßen aufgrund der Zerstörung der schwachen Infrastruktur?

Über die Welt, die keine Gnade für zwei Millionen Zivilisten hat?

Über die psychosozialen Unterstützungsaktivitäten, die wir in einigen Schutzräumen begonnen haben?

Über meine Schwester, der ich nicht helfen kann? Über den Rest meiner Familie, meine Brüder und Schwestern und ihre Kinder in Gaza-Stadt und im Norden, die ich nicht einmal telefonisch erreichen kann, um zu erfahren, ob sie tot oder noch am Leben sind?

Über die Mütter und Väter, die nicht in der Lage sind, Milch für ihre Babys, Wasser und Nahrung für ihre Kinder, Unterkunft oder irgendeine Art von Sicherheit bereitzustellen?

Über die Bildung der neuen Generation, die eingefroren ist, und niemand kann vorhersagen, wann und wie sie wieder aufgenommen wird?

Über mein Zuhause in Gaza-Stadt, die Wohnung, für die ich 40 Jahre lang gearbeitet habe, um genug Geld zu sparen, um sie zu kaufen, damit ich sie mein Zuhause nennen kann?

Über die Art des Lebens, das wir nach all dieser Zerstörung und Verwüstung von Einrichtungen, Straßen, Häusern, Menschen und Seelen haben werden?

Worüber soll ich schreiben – wo anfangen?

Ich werde über Jonathan Chadwick, Jonathan Daitch, Steven Williams, Sami, Mohammed, Rafat, Emad, Baha’a, Philipe Dumoulin, Marianne Blume, Brigitte Fosder, Ines Abdelrazeq, Lisa Shultz, Heather Bailey, Gerhard, Eli, Peter Van Lo, Zohra, Inas, Jean Luc Bansard, Jan, Kathleen, Redouan, Marko Torjanak, Sanne und viele andere schreiben, deren Menschlichkeit bleibt, die mir Hoffnung, Kraft und die Fähigkeit geben, weiterzumachen, mit ihren Worten, mit ihrer Unterstützung.

Diejenigen, die mich glauben lassen, dass es irgendwo auf dieser Welt Menschlichkeit gibt, dass es Hoffnung gibt, Leben stärker als der Tod. Ihre Worte ermächtigen mich, die Dunkelheit zu besiegen.

Meine lieben Freunde, ich liebe euch alle, ich hoffe, dass ich euch alle wiedersehen werde.

22)  Das Tal des Todes Hossam im Gazastreifen

Eine Einführung mag erforderlich sein!

Die israelische Armee ist offensichtlich entschlossen, alle Krankenhäuser von Gaza-Stadt und dem Norden um jeden Preis zu räumen.

Egal, wie viele Leben verloren gehen,

Egal, wie viele Verletzte und normale Patienten keine Behandlung erhalten werden,

Egal, wie viele Tumor- und Krebspatienten sterben,

Egal, wie viele Patienten auf den Intensivstationen sterben werden,

Egal, wie viele Menschen ohne Sauerstoff ersticken werden,

Egal, wie viele Menschen dringend eine Operation benötigen, diese aber nicht bekommen,

Egal, wie viele Frühgeborene, die noch nicht vollständig geboren sind, das Leben nicht sehen werden, da sie in ihren Brutkästen ersticken – zwei sind laut Gesundheitsministerium bereits gestorben,

Egal, was das Internationale Humanitäre Recht und die Vierte Genfer Konvention sagen.

Die israelische Armee hat den Strom von Tag eins des Krieges an komplett abgeschaltet, dann verhinderte sie die Einfuhr von Treibstoff, der die Elektrizität der Notstromaggregate betreiben könnte, und bombardierte auch alle Solarmodule auf den Dächern der Krankenhäuser:

Al Shifa in Gaza-Stadt,

Indonesisches Krankenhaus im Norden,

Kamal Adwan in Beit Lahia,

Al Rantisi, das einzige Kinderkrebskrankenhaus im gesamten Gazastreifen – drei sind laut Gesundheitsministerium bereits gestorben,

Al Nasr Hospital in Gaza-Stadt, das spezialisierte Kinderkrankenhaus.

Psychiatrisches Krankenhaus, das einzige psychiatrische Krankenhaus im Gazastreifen.

Alle diese Krankenhäuser waren gezwungen, den Betrieb einzustellen, einige wurden bombardiert, andere beschädigt.

Al Shifa Hospital ist das Hauptkrankenhaus im Gazastreifen und das größte. Es war von Anfang an ein Ziel der israelischen Armee. Sie bombardierten die Entbindungsabteilung, sie bombardierten die Außenkliniken, sie bombardierten das Haupttor mehrmals —  jedes Mal wurden Menschen getötet und verletzt. Sie bombardierten Ambulanzen mit Verletzten drin am Krankenhaustor. Gestern kamen sie dem Krankenhaus sehr nahe, bombardierten und schossen darum herum, als hätte sich ein Höllentor geöffnet, bombardierten und zerstörten die meisten Häuser und Gebäude rund um das Krankenhaus.

Mein ältester Bruder, 60 Jahre alt, mit seinen 2 Söhnen, Mohammed, 23 Jahre und Hisham, 15 Jahre alt, und seiner kranken, blinden Frau, suchten am 12. Oktober 2023 Zuflucht im Al Shifa Hospital. Die Frau meines Bruders leidet an Nierenversagen. Sie benötigt dreimal wöchentlich eine Krankenhausbehandlung; sie muss an eine Maschine angeschlossen werden, die über ihre Adern ihr Blut reinigt. Jedes Mal fungiert die Maschine für 4 Stunden als Niere. Deshalb haben sie sich entschieden, im Al Shifa Hospital Schutz zu suchen. Viele der 50.000 vertriebenen Menschen im Al Shifa Hospital sind Familien von kranken Menschen mit chronischen Krankheiten. Sie sind dort, damit sie leichter Gesundheitsdienstleistungen erhalten können. Viele von ihnen sind Familien von Menschen, die während des Krieges verletzt wurden.

Gestern beschlossen mein Bruder und seine Familie zu gehen. Sie waren sicher, dass sie getötet würden, wenn sie blieben. Sie ziehen südwärts, aus Gaza-Stadt heraus. Mein Bruder, der 60 Jahre Elend, Armut, harter Arbeit und Schmerz auf seinen Schultern trägt, sein Sohn Mohammed zieht den Rollstuhl mit seiner Mutter drauf, die Mutter hält einen Beutel mit Sachen, Kleidung und etwas Essen auf ihrem Schoß, und Hisham, der kleinere Junge, trägt einen Rucksack und eine Handtasche. Mit den Bombardierungen, dem Schießen, dem Drohnengeräusch, dem Überflug der Luftwaffe, dem Klang der Menschenmenge um sie herum, gehen sie. 

Sie müssen in die Gegend von Zeitoun, eine Entfernung von 3 Kilometern, um die Salah Al-Deen Road zu erreichen, die Gaza von Norden nach Süden verbindet. Sie gehen. Die Straßen sind leer bis auf einige Menschen, die auch das tragen, was sie von ihren Sachen tragen können, auf dem Weg zur Salah Al-Deen Road. Straßen? Zerstört, beschädigt, große Löcher, Wasseraustritte, Abwasseraustritte.

Auf 200 Metern war es für meinen Bruder und seine Familie absolut vergleichbar mit dem Durchqueren eines Minenfeldes, Seite and Seit mit dem Tod laufen. Sie sahen bereits Leichen am Straßenrand liegen. 

Vorbei an Panzern, Soldaten setzten sie ihren Weg weitere 2 km fort, bevor sie in einem Gebiet ankamen, in dem Menschen waren, nur 1 km von den Lagern Bureij und Nuseirat entfernt. Schließlich fanden sie einen Eselkarren, der sie zum Al-Aqsa-Krankenhaus in Deir Al-Balah mitnahm, 18 km von Gaza-Stadt entfernt.

Dies war nicht anders als Dantes Inferno in der Göttlichen Komödie, vielleicht wäre Dante sogar mehr inspiriert gewesen, wenn er diese Strecke gegangen wäre. 

Mohammed versuchte die meiste Zeit und wann immer es möglich war, mich anzurufen. Handys funktionierten nicht. Um 9 Uhr morgens klingelte mein Handy, es war Mohammed:

– „Wo bist du? Bist du sicher? Konnte dich nie erreichen, als du in Gaza warst.“

– „Wir sind im Al-Aqsa-Krankenhaus, ohne nichts.“

– „Versuche diese Nacht durchzustehen, ich werde morgen früh da sein.“

Zu dieser Tageszeit kann nichts getan werden; keine Bewegung bei Dunkelheit. 

Gleich am frühen Morgen ging ich nach Deir Al-Balah. Es war früh. Ich lief. Die gesamte Laufstrecke heute, 11,5 km. 

Ich kam an, überall Menschen. Die Vorder- und Hinterhöfe des Krankenhauses sind voll von vertriebenen Menschen, verletzten Menschen und ihren Familien. Am Tor des Krankenhauses wurden 3 Leichen ausgelegt, gerade erst aus Nuseirat angekommen, von einem Bombenangriff auf ein Haus dort.

Ich begann, die Menschen nach den Neuankömmlingen aus Gaza-Stadt zu fragen. Es gab viele. Ich fragte weiter und suchte, bis ich sie fand, in einem kleinen Raum von 2 Quadratmetern, bereitgestellt von einer Familie, die bis dahin 4 Quadratmeter in Anspruch nahm. 

Mohammed war nicht da, er war gegangen, um Medizin für seine Mutter zu holen. Mein Bruder ist in diesen wenigen Tagen und seit ich ihn das letzte Mal vor 40 Tagen sah, um 50 Jahre gealtert. Hisham saß neben seiner Mutter, tat nichts, sagte nichts, seine Augäpfel bewegten sich nicht, er schaute zur Seite, schaute auf nichts. Ich versuchte, mit ihm zu sprechen. Er reagierte nicht. Hisham, der Junge, den ich am meisten liebe, der Junge, der mich am meisten liebt. Hisham, der jedes Mal, wenn ich zu Besuch komme, auf mich zuläuft und nach einer Umarmung fragt. Hisham reagiert nicht auf mich. Was ist passiert, mein Junge?

Ich weiß nicht, ob es die psychologischen Erste-Hilfe-Techniken sind, die ich während meiner Arbeit als Kinderschutzbeauftragter gelernt habe, oder die Kraft der Liebe. Nach 15 Minuten schaute Hisham mich an, sprang in meine Arme und weinte, weinte wie noch nie, weinte und weinte, sein Körper bewegte sich und zitterte in meinen Armen. Ich weinte nicht. Ich hielt meine Tränen zurück, meine Tränen, die so dringend freilaufen wollten. Ich halte sie zurück, so tief, dass es mich von innen heraus verbrennt. Weine, Baby, weine, mein Sohn, keine Scham, weine so viel du willst, weine so viel, wie du Angst hattest, weine, bis deine Schreie den Himmel erreichen oder ein bewegendes Herz irgendwo auf dieser verrückten Welt erreichen.

 

Nr. 23  

MEINE MUTTER ERNEUT (veröffentlicht am 23. Nov. 2023)

Mit einem Riss in ihrem Magen, gelegentlichem Erbrechen, zwei bis drei Tagen ohne Nahrungsaufnahme und Blutungen im Magen-Darm-System ist ein Krankenhausaufenthalt unumgänglich, nur um die Blutung zu stoppen. Nexium 40 mm zweimal täglich intravenös. Ich habe alles besorgt, wie wir es das letzte Mal gemacht haben, als wir eine Nachbarin, die Krankenschwester ist, darum gebeten hatten, die Prozedur durchzuführen.

Die Nachbarin Krankenschwester ist nicht da. Sie lebt im Haus neben dem Haus meines Schwiegervaters, das gewarnt wurde, dass es bombardiert werden würde. Sie haben evakuiert.

Was kann ich tun? Bin auf die Straße gegangen. Ich kenne die Leute nicht; es ist nicht meine Nachbarschaft, ich bin hier ein Fremder.

Ich habe Leute auf der Straße gefragt, ob sie eine Krankenschwester in der Nähe kennen. Erstaunlicherweise sagte ein Mann im dritten Haus:

   – Meine Frau ist Krankenschwester.

Ich erklärte ihm, was wir brauchten. Er ging in sein Haus und kam innerhalb von 5 Minuten mit seiner Frau raus. Wir gingen zu unserem Zuhause. Sie tat, was getan werden musste, aber die Venen meiner Mutter sind verschlossen, sie nehmen die Medikamente nicht auf. Die Krankenschwester sagte scharf:

   – Sie muss ins Krankenhaus gebracht werden!

Ich hatte etwas Treibstoff, genug für 50 km, in meinem Auto für einen Notfall. Genug, um uns nach Rafah zu fahren.

Das ist ein Notfall. Ich brachte meine Mutter in ein Gemeinschaftskrankenhaus im Nuseirat Camp. Auf dem Weg dorthin hörte der Bombenangriff nicht auf, wie üblich, jede Minute.

Am Krankenhaus angekommen. Draußen haben sie ein großes Zelt wie ein Feldlazarett aufgestellt. Einige Betten drinnen mit verletzten Menschen und Ärzten, die sie behandeln. Viele Menschen bewegen sich auf allen Seiten, ein Krankenwagen kommt, die Leute räumen automatisch Platz für den Krankenwagen. Drei Leichen mit Decken bedeckt. Ein weiterer Krankenwagen kommt, vier Verletzte; eine Frau, ein junger Mann und zwei Kinder. Der junge Mann hat ein Bein verloren, viel Blut. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Mutter kann in dieser Situation keine Priorität sein. Während ich am Eingang stand, kam ein sanfter Krankenpfleger auf mich zu und fragte, ob er helfen könne. Ich erklärte die Situation meiner Mutter. Er sagte:

   – Normalerweise müssen wir einen Hämoglobin-Bluttest, Herz- und Blutdrucktests machen, aber Sie sehen, wie chaotisch die Situation ist. Ich werde das Nexium und die Spritze holen, es mit 40 mm Kochsalzlösung injizieren. Kommen Sie herein.

Ich ging in den ersten Flur; viele Menschen, Blut auf dem Boden, eine Frau ist damit beschäftigt zu putzen, ein Eimer mit klarem Wasser, in 2 Minuten wurde es rot, sie nahm ihn, verschwand für 5 Minuten und kam mit dem Eimer, mit klarem Wasser aufgefüllt, zurück. Einige Menschen weinen vor Trauer, Krankenschwestern und Ärzte bewegen sich schnell überall hin. Der Krankenpfleger ließ mich allein, ich war 20 Minuten dort, als er mit der Kanüle, dem Verband, der Spritze und dem Nexium zurückkam. Er war sehr gut. In 2 Minuten hat er alles getan, was nötig war.

Meine Mutter schlief in ihrem Rollstuhl. Ich habe sie herausgeholt, sie ins Auto gehoben und bin nach Hause gefahren.

Die Nacht brach herein. Normalerweise bin ich jemand, der Abende und die Nacht mag. Es ist meine Zeit für Entspannung, ich spiele Karten mit meinen Freunden, schaue Lieblingsfilme, liege faul auf meinem Sofa. Jetzt kann ich weder Abende noch Nächte mögen. Mit Einbruch der Dunkelheit steht das Leben still, eingefroren, keine Bewegung, keine Aktivitäten, keine Geräusche außer dem Klang von Bomben und Drohnen, der sich im Schweigen millionenfach vervielfacht.

Meine Mutter wachte wieder mit ihren Halluzinationen auf, ihrer inneren Angst, die ich nicht lindern kann. Sie sieht Menschen und Dinge, Menschen, die sie provozieren, und Dinge, die sie erschrecken. Sie schreit vor Angst, sie sieht, wie ich schlimme Dinge tue, und sie verflucht mich, und ich bin hilflos. Die Beruhigunspillen helfen diesmal nicht. Von 17 Uhr bis zum nächsten Morgen um 8.20 Uhr leidet sie unter ihren Halluzinationen, und ich leide unter Schlaflosigkeit und Hilflosigkeit. Ich ging nach unten, um ihr Frühstück zu holen. 10 Minuten später kam ich hoch, und sie schlief. Ich weckte sie nicht, sie muss schlafen. Sie muss sich ausruhen.

Ich rief Dr. Yasser Abu Jamei an. Er ist Psychiater und Generaldirektor des Gaza Mental Health Program. Erklärte ihm den Fall meiner Mutter, er schickte eine Nachricht mit dem Namen eines Medikaments, das ich ihr geben sollte, eine Tablette jeden Abend. Ich ließ meine Mutter schlafen oder vielleicht bewusstlos und ging zur UNRWA-Klinik. Kein Internet, konnte nichts tun, schrieb nur einen Teil dieses Textes, kaufte das Medikament und kehrte nach Hause zurück. Zu Hause schlief meine Mutter immer noch. Es ist 18.13 Uhr. Sie schläft immer noch. Das Frühstück steht noch da, unberührt. Ist das gut? Ist das schlecht? Soll ich sie aufwecken und ihr das Medikament geben? Aber ich habe Angst, dass sie mit ihren Halluzinationen aufwacht und eine weitere Nacht voller Angst und Schlaflosigkeit verbringt. Ist es in Ordnung, sie so viel schlafen zu lassen? Ich weiß es nicht. Ich werde warten. Ich nahm etwas zu essen, meine erste Mahlzeit des Tages. Ich wusch meinen Körper mit etwas Wasser, eine Dusche ist ein unerhältlicher Luxus. Es ist 20.15 Uhr. Sie hat 12 Stunden geschlafen. 23.25 Uhr, 15 Stunden! Schließlich habe ich (egoistisch) beschlossen, sie schlafen zu lassen und zu sehen, was passiert.

Übrigens, ich habe jetzt nur noch Treibstoff für 40 km in meinem Auto.

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Nr. 24 

GELÄHMTE WORTE (23. November 2023)

Was können Worte tun, wenn man das Gefühl hat, dass sie nicht in der Lage sind zu beschreiben, zu erklären, ein Gefühl oder ein Ereignis auszudrücken?

Es sind nun fast 10 Tage vergangen, ohne etwas zu schreiben. Es gibt viele Dinge, über die ich sprechen möchte, aber Worte sind gelähmt, Worte werden nicht widerspiegeln, was ich sehe, was ich fühle, was ich erzählen möchte.

Gestern war ich in der Klinik und wartete auf meine Kollegen, die Berater, um ihnen ihre Aufgaben zu übergeben und sie auf die Schutzräume/Schulen zu verteilen, um den Kindern psychologische Unterstützung zu bieten. Einer von ihnen war nicht da. Ich fragte nach ihm. Jemand sagte mir, dass etwas passiert sei: 2 Personen, die sie aufgenommen hatten, wurden bei einem Bombenangriff getötet. Der Mensch, über die wir sprachen, ich kenne seinen Onkel. Sein Onkel ist mein Freund, und ich weiß, dass er bei ihnen Schutz gesucht hatte. Ich geriet in Panik. Ich beendete meine Arbeit mit meinen Kollegen und ging schnell dorthin, um meinen Freund zu sehen und herauszufinden, was passiert ist. Ich kam an. Mein Freund und mein Kollege saßen draußen vor dem Haus. Ihre Gesichter sprachen. Ihre Gesichter sagten alles. Ihre Gesichter sagten mir, dass etwas Schreckliches passiert war.s

Mein Freund erzählte mir, was passiert war. Der Ehemann seiner Tochter und sein Enkel wurden getötet. Sie hatten Schutz im selben Haus gefunden, aber gestern ging der Ehemann seiner Tochter zu seiner Mutter in ein anderes Haus mit seiner erweiterten Familie. Er nahm seinen ältesten Sohn, Waseem, einen sechsjährigen Jungen, mit.

Das Haus, ein vierstöckiges Gebäude, in dem 37 Personen untergebracht waren, wurde bombardiert. Sie starben. Sie alle starben; Männer, Frauen, Jungen, Mädchen, alle tot.

Während er sprach, war seine Tochter, die ich seit ihrem siebten Lebensjahr kenne, nicht weit entfernt. Sie hängte die Kleider ihres toten Kindes auf die Wäscheleine, als wäre nichts passiert. Sie wusch die Kleider ihres toten Sohnes und hängte sie in der Sonne zum Trocknen auf, damit er sie anziehen konnte, wenn er zurückkam.

Ich schaute sie an und suchte nach den Worten, die erklären könnten, was sie fühlt, was sie denkt. Ich fand die Worte nicht. Welche Worte können dies beschreiben? Verdammt, wo sind die Worte? Warum helfen Worte nicht? Worte sind schwach. Worte sind gelähmt. Worte sind verstümmelt. Keine Worte können erklären, was sie fühlt oder denkt. Sie hat ihren Ehemann und ihren sechsjährigen Sohn verloren. Der Sohn wurde gefunden und begraben, der Ehemann lag noch unter den Trümmern zusammen mit weiteren 14 von den 37 Menschen.

Ich hasse Worte. Nur daran zu denken, mit Worten darüber zu sprechen – Gefühle der HIlflosigkeit, sogar der Dummheit. 

Und während wir sprechen, erwähnen sie Mahmoud, Mahmoud, meinen Freund. Er ist der Onkel des Ehemanns. Er suchte mit seiner Frau und Kindern, seinem Bruder und seiner Frau und Kindern und deren Eltern Schutz im großen Familienhaus. Sie waren alle dort. Sie alle starben.

 Nein! Bitte, nein! Nicht Mahmoud! Nein, er kann nicht tot sein. Ich kann das nicht akzeptieren. Mahmoud ist nicht gestorben. Mahmoud lebt. Bitte sag mir, er ist nicht tot. Bitte.

Ich habe ihn vor 3 Tagen auf dem Markt in Nuseirat getroffen. Wir haben uns umarmt, wir haben geredet, wir haben gelacht. Du kannst Mahmoud nicht treffen und nicht lachen. Er sieht so gut aus, so schick, immer rasiertes Gesicht und rasiertem Kopf, und ein großes Lächeln verlässt sein Gesicht keine einzige Minute. Sein wunderschönes Lächeln erfüllt die Luft mit Freude und Glück. Er ist derjenige, der alle glücklich und entspannt fühlen lässt. Mahmouds Lächeln öffnet alle Fenster für Hoffnung und Trost. Sein Herz ist so groß, größer als die Welt selbst. Er kann die ganze Welt in seinem Herzen aufnehmen. Er ist derjenige, der immer bereit ist zu helfen, zu unterstützen, Probleme zu lösen, an der Seite von Menschen zu stehen, Menschen, die er kennt oder Menschen, die er noch nie zuvor getroffen hat, er ist einfach für jeden verfügbar, als ob Gott ihn für andere geschaffen hätte. Er kann nicht sterben. Oh Gott, Mahmoud, mein Freund. Warum? Warum? Warum?

Nachdem ich das über Mahmoud geschrieben habe, fühle ich mich so schlecht, sehr schlecht. All diese Worte sind nichts. Es sagt nichts über meinen Freund aus. Es macht ihn klein, und er ist viel mehr.

Worte sind verflucht. Worte sind schwach. Worte sind hilflos. Keine Worte können sagen, was ich jetzt fühle. Worte werden nicht sagen, was ich über Mahmoud sagen möchte.

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Nr. 25

WARTESCHLANGE

Während der fünfzig Tage gab es viele Warteschlangen.

Warteschlangen begannen, dann verschwanden. Es gab Warteschlangen, und es gibt sie immer noch. Neue Warteschlangen entstanden, als der Waffenstillstand begann.

Eine Warteschlange für Brot, die erste Warteschlange. Tausende von Menschen standen vor der Bäckerei Schlange, um die erlaubte Menge Brot zu bekommen, kaum genug für einen Tag für eine fünfköpfige Familie. Eine geordnete Warteschlange.

Aber von Zeit zu Zeit gibt es einen egostischen Menschen, der sich vor andere drängt, und so entstehen Probleme. Es endet damit, dass er weit weg gestoßen wird, bis er seinen richtigen Platz in der Schlange einnimmt.

Diese Warteschlangen verschwanden nach und nach. In Nuseirat gab es zum Beispiel vier Bäckereien. Die Israelis bombardierten zwei von ihnen. Es gab also größere Warteschlangen an den verbleibenden Bäckereien, bis es kein Mehl mehr auf dem Markt gab und das Gas, von dem die Back- und Teigmaschinen abhängig waren, aufgebraucht war.

Was in Nuseirat passierte, geschah in allen Städten des Gazastreifens.

Die Hälfte der Bäckereien im Gazastreifen wurde bombardiert und stürzte auf die Köpfe derer, die die ganze Nacht lang arbeiteten, um das Brot vorzubereiten, um den Bedürfnissen der Menschen zu erfüllen. Und einige schlossen ihre Türen, als kein Mehl mehr auf dem Markt war.

Und so wurden die Menschen in einem geplanten Vorgehen in Richtung Hungersnot getrieben.

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Nr. 26

VOR DEN TÜREN DER UNRWA-BÜROS – EINE WARTESCHLANGE ZUR REGISTRIERUNG FÜR DEN ERHALT VON MEHL

Warteschlangen von Hunderten von Menschen, um sich zu registrieren, eine Nummer und einen Termin zu erhalten, um Mehl zu erhalten. Es ist eine fortlaufende tägliche Warteschlange.

Warteschlangen vor den Türen von Supermärkten und Geschäften… Gedränge und Verkehrsstaus. Die Warteschlangen bildeten sich weiterhin an den Eingängen der Geschäfte, bis die Waren ausgingen. Dann verschwanden diese Warteschlangen.

Warteschlangen vor der Bank

Eine tägliche Warteschlange am Geldautomaten, um Bargeld abzuheben. Kurze Warteschlangen von einigen Dutzend Menschen. Die meisten Menschen haben nicht einmal Bargeld auf den Banken. Nur diejenigen, die beschäftigt sind, und einige reiche Menschen …

Mehrere Tausend von den Millionen Menschen im Gazastreifen stehen vor den Geldautomaten. Dies sind tägliche Warteschlangen.

Aktuelle Warteschlangen

Aktuelle Warteschlangen begannen mit dem Waffenstillstand, Warteschlangen für Kochgas, Benzin und Solarenergie, die in begrenzten Mengen an mehreren Tankstellen geliefert wurden.

Hunderte von Autos und Karren kommen an und stellen sich in eine Warteschlange, die sich über mehr als einen Kilometer erstreckt, in der Hoffnung, Treibstoff zu bekommen, dessen Preis auf dem Schwarzmarkt in die Höhe geschnellt ist.

Krieg ist Ruin, Krieg ist Zerstörung, Krieg ist Tod. Krieg raubt den Menschen das Wichtigste, was sie auszeichnet. Krieg raubt ihnen ihre Menschlichkeit. Das ist etwas, was Israel weiß. Das ist es, was Israel in Gaza tut.

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Nr. 27

ERSTICKENDER VERKEHRSSTAU 

Erstickender Verkehrsstau. Tausende auf den Straßen des Marktes. So weit das Auge reicht, sind Köpfe und Körper gedrängt und versperren den Weg. Das Gehen zwischen den Menschen im Lager Nuseirat ist anstrengend und nervig, das einst 35.000 Einwohner hatte und nun zusätzlich 150.000 hat. Es scheint, als ob sich die meisten von ihnen darauf geeinigt haben, sich auf dem Markt zu treffen; junge Männer und junge Frauen, Kinder, Jugendliche, Jungen und Mädchen …

Frauen, Männer, Kinder, ältere Menschen mit und ohne Gehstöcke, einige im Rollstuhl.

Schwangere Frauen, Frauen, die ihre stillenden Babys tragen. Junge Männer und Frauen stoßen aneinander, gehen auf und ab … manche gehen schweigend weiter. Der Geruch von Schweiß kommt von ihnen. Keine Übertreibung. Niemand beschwert sich über jemand anderen.

Einschließlich mir. Wie sie habe auch ich keine Gelegenheit, mich jeden Tag zu waschen. Wasser ist knapp.

Die Marktstraße selbst ist schmutzig. Niemand räumt den Müll aus den Geschäften weg. Er häuft sich Tag für Tag an und gibt alle möglichen Gerüche ab. Alle sind schädlich. Ich denke, viele Krankheiten werden anfangen zu erscheinen.

Die Leute haben angefangen, den Inhalt ihrer Häuser zu verkaufen, in der Annahme, dass andere ihn vielleicht brauchen könnten. Eine alte Matratze, gebrauchte Kleidung, abgetragene Schuhe … Einige Menschen sind kreativer.

In der Nähe gibt es einen Mann, der Hühner verkauft. Wenn es keinen Strom gibt, um die Maschine zu betreiben, die die Hühner reinigt, zündet er ein Feuer an, auf dem er einen großen Topf Wasser stellt. Er tötet und reinigt die Hühner von Hand, gibt sie für ein paar Minuten ins kochende Wasser und zupft dann die Federn aus und geht mitten auf den Markt. Niemand stört sich daran.

Niemand beschuldigt jemanden anderen. Es gibt keine Alternativen.

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Nr. 28

WIE JEDEN TAG

Ich wache um 6 Uhr morgens auf. Der Vater meiner Frau, ein gütiger 70-jähriger Mann, wacht vor mir auf.

Und das Feuer wurde bereits entfacht, und der Teekessel und ein Wasserkessel voll mit warmem Wasser stehen auf dem Feuer. Auch ein Topf Wasser wartet darauf, dass ich drei Eier hineinlege, damit sie auf dem Feuer weiterkochen können. 

Zwei der Eier sind für meine Mutter, und eins ist für meinen Hund, Buddy.

Nach dem Waschen und dem Trinken einer Tasse billigen Nescafé, den ich noch rechtzeitig in einem ordentlichen Laden bekommen habe, bevor er leergeräumt wurde. Es ist Zeit für meine Mutter. Ich wechsle ihre Windel. Ich räume die um sie herum gefallenen Essensreste weg und bereite ein Ei und ein Stück Brot sowie eine Tasse Tee für sie vor. Tee ist leicht verfügbar, da er Teil der Vorräte von UNRWA ist, die zu reduzierten Preisen auf dem Markt verkauft werden.

Ich füttere meinen Hund mit dem dritten Ei. Ich ziehe mir an, was für Kleidung in Reichweite sind. Mir ist die Farbe egal oder ob mein Hemd gebügelt ist. Das sind Sachen, von denen wir uns nach 51 Tagen vollständig verabschiedet haben.

Ich mache mich bereit, raus zu gehen. Die Gebete meiner Mutter begleiten mich. Der Weg vom Haus zum Markt von Nuseirat, 2,5 Kilometer entfernt in Sawariha, einem landwirtschaftlichen Gebiet zwischen dem Flüchtlingslager Nuseirat und dem Dorf Al Zuwayeda am Meer. Das Haus ist ungefähr 600 Meter vom Meer entfernt, mehr oder weniger. Aber in diesen Tagen fühlt es sich an, als wäre China näher als das Meer. Wenn Israel seine Raketen nach Westen abschießt, richtet es seine Panzer auf den Strand oder wo immer es ihnen passt. Der Horizont des Meeres ist der einzige Horizont, der den Menschen im Gazastreifen zur Verfügung steht. Im eingeengten Gaza gibt es keinen Horizont – nur Gebäude, und Straßen, die den Horizont verdecken und manche verdecken sogar den Himmel.

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Nr. 29

BESORGNISS

Die Menschen haben ihre Häuser verlassen wegen der Drohungen der israelischen Armee, die stehlen, was sie können. Sie reißen die Türen von Unternehmen aus den Angeln und stehlen, was immer sie können.

Das passiert jetzt in Gaza. Und es ist nicht überraschend, wenn man in einer kleinen, belagerten Gegend Hunger erzeugt und die Rechtsstaatlichkeit verschwindet. Kein Buchhalter, kein Sergeant …

Das Überleben beginnt damit, jede Handlung zu rechtfertigen.

Die Angst ist jetzt überall.

Angst vor dem Tod durch die israelischen Bomben, Angst, keine Unterkunft, Wasser und Nahrung zu finden, Angst vor Raub, davor verletzt zu werden, davor getötet zu werden.  

Die größte Angst ist die verzögerte Angst, die Angst davor, was nach diesem Krieg passieren wird.

Der Gazastreifen ist vollständig zerstört worden – jedes Gebäude, von dem Fundament aufwärts, die Straßen, die Kommunikation.

Mehr als 200.000 Häuser wurden zerstört. Der Krieg beginnt erneut. Mehr als eine Million Menschen haben kein Zuhause mehr, wohin sie zurückkehren können. Welche Art von Leben erwartet uns? Welche Zukunft erwartet unsere Kinder? Welche Autorität wird im Gazastreifen herrschen? Eine israelische militärische Besatzung? Eine Rückkehr der Hamas-Regierung und Macht? Wird es die Rückkehr der korrupten Palästinensischen Autonomiebehörde sein?

Oder internationale Streitkräfte, um unsere Demütigung zu genießen? Wann werdet ihr genug von der Demütigung unseres Volkes durch die Hamas und die Behörde haben?

Wann werden wir genug von der Demütigung und Gewalt der Besatzung haben?

Was erwarten wir uns von morgen? Ich meine, worauf werden wir warten, von dem, was von uns übrig ist, morgen?

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Nr. 30

GAZA ZWISCHEN DEM MEER UND DEM ZAUN 

Das Meer im Westen und der Zaun im Osten, sowie im Norden und Süden.

Ich laufe nach Osten, nicht nach Westen.

Das Meer gehört mir nicht. Ich habe keinen Horizont. Der Weg ist lang und anstrengend. Ein langer Abschnitt dieser staubigen Straße, alte Teerstraße, ist teilweise voller Löchern und teilweise in Ordnung. Wir gelangen auf eine Straße mit einem Schrein an der Wand des zentralen Friedhofs des Lagers. Müllberge erstrecken sich entlang der Friedhofsmauer. Die Straße ist schmerzhaft. Der Abwasserkanal verläuft auf den Straßen, weil die Fundamente von Gebäuden in vielen Bereichen zerstört wurden. Auf beiden Seiten der Straße liegen Müllberge. Die üblen Gerüche erfüllen die Nase und infizieren das Land.

Wir bewegen uns auf einem zerbrochenen Weg. Wir stoßen auf Löcher gegraben in der Strasse, Abwasser und Müll. Man versucht dem auszuweichen. Es gelingt uns nicht immer. Das Abwasser mischt sich manchmal mit sauberem Wasser, wenn die Straße breiter wird, und überflutet es manchmal vollständig. Es gibt kein Entkommen, deine Fersen versinken in die Scheisse. Es wird dir übel, traurig, wütend aber du gehst weiter. Es gibt keine Alternative. Bombardierte Häuser, auf beiden Seiten der Straße zerstört. Aus ihnen der Geruch von Schüssen gemischt mit dem Geruch von Beton, Trümmern oder dem Geruch eines Wassertanks, der mit Abwasser gefüllt wird.

Die Häuser wurden Tag für Tag bombardiert, bis nach und nach kein Platz mehr für Autos auf der Straße war. Die Straße wurde auf eine Spur reduziert.

Wenn es regnet, einmal oder zweimal, füllt sich das Loch, das das zerstörte Haus hinterlassen hat, und überläuft, bis es die Straße vollständig teilt. Es gab keinen Ersatz, keine Alternative zu dem, was existiert.

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Nr. 31

ICH KOMME NACH EINER ETWA EINSTÜNDIGEN REISE AUF DEM MARKT AN 

Der Markt. Die Marktstraße, die das Lager von der Salaheddin Street im Osten bis zum Meer im Westen teilt. Der Markt endet dort. Viele Gebäude wurden bombardiert: zwei Bäckereien, ein Supermarkt, Bekleidungsgeschäfte, Elektrogeschäfte, eine Apotheke, eine Drogerie. Zwischen jedem bombardierten Haus und einem anderen steht ein Haus, das teilweise oder vollständig zerstört wurde. Die meisten Geschäfte sind nach 50 Tagen ohne Ware geschlossen. Die Läden hatten keine Ware mehr. Sie waren komplett leer.

Ein anderer Markt wurde geschlossen. Nur Straßenhändler, die auf und ab gehen oder Menschen, die ihre Waren auf dem Boden oder auf Pappkartons oder kleinen Tischen oder einem Eselkarren ausbreiten. Die einzig verfügbaren Waren waren vier Arten von Gemüse: Kartoffeln, Tomaten, grüne Paprika, Zitronen. Die Preise stiegen täglich, Tag für Tag. Einige der Materialien, die von UNRWA an die Vertriebenen in den Schulen verteilt wurden – Dosenbohnen, Fleisch, Thunfisch, Zucker und Reis und Linsen, Süßkartoffeln, ein Stück Plastik, 4 oder 5 Meter lang, um die Dächer abzudecken und das Regenwasser von den Köpfen derjenigen abzuleiten, die in armen Häusern leben. Vertriebene Menschen essen, was sie von der UNRWA-Nahrung konnten, breiten dann Decken auf dem Boden im Markt aus, um das zu verkaufen, was ihnen geblieben ist oder was sie sich, und ihren Kindern  verweigert haben , um das Geld zu verdienen, das sie benötigen, um das Notwendigste zu kaufen, das die UNRWA nicht verteilt, wie Winterkleidung für ihre Kinder, Damenbinden für die Frauen, Medikamente für die Kranken, Zigaretten und Kaffee für egoistische Väter, die Zigaretten und eine Tasse Kaffee einer ordentlichen Mahlzeit für ihre Kinder vorziehen.

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Nr. 32

ES GIBT HUNDERTE VON BETTLERN 

Es gibt Hunderte von Bettlern, aller Altersgruppen, Jungen und Mädchen, Frauen und Männer. Sie klammern sich an diejenigen, von denen sie denken, dass sie vielleicht etwas Geld übrig haben könnten. Sie bitten hartnäckig um Geld. Der Hunger treibt sie an. Hunger ist erniedrigend. Die Menschen haben Hunger. Vor dem Krieg waren 48% der Bevölkerung arbeitslos. Jetzt hat das Leben völlig aufgehört und niemand arbeitet. Die Unternehmen, Fabriken, Geschäfte, Cafés, Restaurants sind alle geschlossen. Selbst die 40.000 Angestellten, die ihr Gehalt von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah erhalten, haben kein Gehalt bekommen. Israel hat den Haushalt der Palästinensischen Autonomiebehörde um den Betrag gekürzt, der für die Bezahlung der Zivilangestellten in Gaza verwendet wird. Israel erstickt uns mit allen Mitteln. Sie haben unser Wasser, Strom, Kommunikation abgeschaltet, das Bargeld und das Geld von der Palästinensischen Autonomiebehörde gestoppt, das von Israel durch ihre Übergänge geschickt werden sollte und nicht von ihnen behalten werden sollte.

Das Überleben ist das, was die Menschen im Gazastreifen antreibt – wie Tiere im Dschungel, und wie im Dschungel gibt es die Schwachen und die Starken, denjenigen, der mit dem Stamm lebt, und denjenigen, der alleine lebt.

Mit Hunger, Stolz und Bedürftigkeit tauchen allmählich furchterregende Dinge auf: Raubüberfälle, Geschäfte werden Tag und Nacht ausgeraubt. Eine Bande taucht in einem Geschäft auf, wild brüllend und schreiend,  und fängt an, alles zu nehmen, was ihnen in die Hände kommt, zerstören während  sie fliehen.

Wenn ein Haus bombardiert wird, sind die Menschen von Angst ergriffen und hoffen, dass sie nicht unter den Trümmern sterben. Jemand wird sich dazwischen schleichen und stehlen, alles was er kann.

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Nr. 33

ANSTEHEN FÜR KOCHGAS 

Ich verließ den Markt und ging in Richtung Salaheddin Street. Im Markt gab es keinen Transport zwischen den Tausenden von Menschen und den Menschenmassen. Ich ging in Richtung Khan Younis, um meine Kollegen zu treffen und einen Bericht über ihre Arbeit zur psychologischen Unterstützung von Kindern in den Schulen vorzubereiten, in denen sie Zuflucht gesucht hatten. Es gab ein paar alte, ramponierte Autos, die mit Kochgas oder Speiseöl gemischt mit Benzin betrieben wurden. Ein erstickender Geruch kam aus ihnen heraus. Keine Alternative. Die Preise waren ein Witz. Keine stabilen Preise, aber kein Preis war weniger als das Dreifache des Normalen. Und wenn du dich beschwerst, gibt es eine fertige Antwort. Das Gas wurde abgestellt. Speiseöl kostet das Dreifache seines normalen Preises, wie alles andere auch. Alles, was auf dem Markt verkauft wird, kostet mindestens das Dreifache oder Vierfache des normalen Preises. In einem Karren, in dem vier Personen Platz finden, stopft der Fahrer 5 oder 6 Passagiere hinein. Du hast kein Recht zu klagen. Das ist das, was verfügbar ist. Soll ich es nehmen oder soll ich es lassen? Du kommst an und deine Muskeln schmerzen vom Zusammenpressen während der Reise.

Die Straße von Nuseirat nach Khan Younis, die Salahaddin Street, bleibt intakt. Sie wurde noch nicht zerstört. Auf beiden Seiten der Straße siehst du von Zeit zu Zeit zerstörte Gebäude, Häuser, Fabriken, Bäckereien oder eine Bank, alles bombardiert und zerstört. Einige Trümmer der zerstörten Gebäude liegen verstreut auf der Straße. Autos meiden sie leicht, weil die Straße breit ist.

Am Horizont siehst du eine lange Schlange. Wenn das Auto näher kommt, kannst du erkennen, dass es sich um 12 Kilogramm schwere Gasflaschen handelt und neben jeder Flasche steht ihr Besitzer. Die Schlange erstreckt sich über mehr als einen Kilometer, bis sie die Tankstelle an der Salahaddin Road erreicht. Hunderte der Wartenden werden tagelang nicht an die Reihe kommen.

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Nr. 34

FEUERGÜRTEL 

Wenn die israelische Besatzungsarmee eine Reihe von 20-30 Gebäuden trifft, zerstört und niederreißt, was Hunderte von Wohnungen, Häusern, Geschäften und Märkten umfassen würde:

Ein Journalist in seinem kugelsicheren Weste und Helm oder ein politischer Analyst mit einer Krawatte um den Hals, beschreibt die Aktion, indem er sagt, dass die israelische Armee einen Feuergürtel in der Yarmouk Street erzeugt hat.

Was? ‘Feuergürtel’???!!!

Es sind Häuser, es sind Besitztümer, es sind Unterkünfte, es sind die warmen Plätze, es ist die bequeme Geborgenheit nach einem langen Arbeitstag, es sind Erinnerungen, es ist alles, was die Menschen haben, es sind ihre Betten und Sofas, es sind ihre Fernseher und Küchen, es sind ihre Lieblingstassen und Teller. In jeder Ecke dieser Hunderte von Häusern haben sie Erinnerungen, alles, was sie haben, haben sie selbst ausgewählt, über Jahre hinweg hart gearbeitet, um Geld zu sparen und es zu kaufen, um es zu benutzen und zu genießen. Es sind die Betten ihrer Kinder, es ist die Decke, die sie ausgewählt haben, weil sie ihre Farbe mochten, es sind ihre Fotos an den Wänden und wo sie die Zukunft ihrer Kinder planen. Es ist ihre Vergangenheit und ihre geplante Zukunft.

‘Feuergürtel’ kann mich mal.

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Nr. 35

ÄRGERLICHE WORTER 

Die ärgerlichsten Worte, die ich höre, stammen von Journalisten, Politikern und offiziellen Vertretern von UN-Agenturen sowie politischen Analysten, wenn sie die Dinge in Gaza beschreiben.

Worte wie ‘schwierig’.

Zum Beispiel:

Als das Shifa-Krankenhaus von der israelischen Armee umzingelt und nach der Entziehung von Wasser, Strom, Sauerstoff und Nahrung bombardiert wurde,

während verletzte Menschen auf der Intensivstation nacheinander sterben,

während Neugeborene in den Brutkästen nacheinander sterben,

während kranke Menschen erstickt sind, weil es keinen Sauerstoff gibt,

während Leichen in der Sonne verrotten und niemand sie begraben oder bewegen kann,

sagt ein cleverer Vertreter der WHO oder ein kluger Journalist, der die Situation überträgt: ‘Es ist eine schwierige Situation im Shifa-Krankenhaus’.

Was????? Schwierig!!!

Mein Herr, wenn Sie einen Streit mit Ihrer Frau haben, dann kommen Sie und sagen, es war schwierig. Wenn Sie keine Milch für Ihren Morgenkaffee finden, sagen Sie, es ist eine schwierige Situation. Wenn Sie nach einem Taxi suchen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen und keins finden, dann ist es schwierig. Wenn Sie versuchen, Ihren Sohn zu überzeugen, bei der Babysitterin zu bleiben, und er stur ist und nicht zuhört, können Sie sagen, es ist schwierig.

Was im Shifa-Krankenhaus passiert, ist nicht schwierig. Es ist ein Massaker. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist Terror in seiner schlimmsten Form.

Schwierig kann mich mal.

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Nr. 36

ÜBERLEBENSREZEPT 

Wie kann man in einem sehr kleinen Ort überleben, wo überall Bomben, Granaten, Angriffe, Schießereien sind? Wo es keine Möglichkeit gibt, den nächsten Angriff vorherzusagen, besonders wenn Zivilisten das Hauptziel sind?

Wie findet man einen sicheren Ort?

Wie sichert man Nahrung und Wasser, wenn weder Nahrung noch Wasser reingelassen wird?

Wie bekommt man medizinische Behandlung, wenn man krank wird, während Krankenhäuser angegriffen werden und keine medizinischen Vorräte erlaubt sind?

Wie sorgt man für die Sicherheit und den Komfort seiner Kinder, wenn man es nicht einmal für sich selbst haben kann?

Wie findet man Unterschlupf, wenn Häuser, Gebäude absichtlich getroffen werden?

Wie hält man sich warm, wenn es keinen Strom gibt, um einen Heizkörper anzuschalten, oder wenn im Markt keine Winterkleidung verfügbar ist, oder wenn man kein Geld hat, um sie zu kaufen, selbst wenn sie verfügbar sind?

Wie kocht man sein Essen, wenn kein Kochgas reingelassen wird?

Wie entkommt man? Wie die Stadt verlassen, die zum Schlachtfeld wird, verschlossen und geschlossen ist und es keinen Ausweg gibt außer in dein Grab, wenn du ein Grab finden und jemanden finden kannst, der dich hineinlegt?

Die Antwort lautet: ICH WEISS ES NICHT.

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Nr. 37

EINE UNERZÄHLTE GESCHICHTE VON OLYMP

Zeus saß gelangweilt auf seinem Thron auf dem Gipfel des Olymp, fuhr sich mit den Fingern durch seinen langen Bart und blickte auf die Erde hinunter. An vielen Orten gab es dort Lichter, an vielen war es auch dunkel. Da bemerkte er einen hellen Punkt, der stärker als jeder andere Ort leuchtete. Es war kein künstliches Licht, kein Sonnenlicht, kein Mond- oder Sternenlicht. Er sah genauer hin. Das Licht kommt von dort, von einem kleinen Ort am Mittelmeer, von einem Ort namens Gaza.

Was leuchtet dort?, fragt er sich. Dort sollte es dunkel sein, wieso leuchtet es dort?

Luzifer war nicht weit und vernahm, wie sich Zeus wunderte. Mit seiner tiefen Stimme sagte er leise: “Das sind die Kinder und Frauen von Gaza. Sie leuchten immer. Wie kann der Gott der Götter das nicht wissen?!“

Frustriert darüber, dass er es nicht wusste, sagte Zeus: “Ich möchte einige von ihnen hier haben. Wer sie mir jetzt bringen kann, bekommt eine Belohnung.”

Luzifer sagte: “Nur die Armee der Toten kann dir diese Kinder und Frauen bringen.”

Zeus war erschüttert: „Nein! Diese Armee nicht! Sie ist brutal. Sie ist grausam, wild, furchterregend, unerbittlich, gnadenlos, abscheulich.“

Luzifer: “Sie ist die einzige Armee, die euren Wunsch erfüllen kann.”

Andere Götter: “Bitte nicht, nicht diese Armee! Nicht die Armee der Toten! Nehmt irgendeine andere. Schickt die Amazonen, sie sind gut und stark. Schickt das trojanische Heer oder einen von uns, wir werden sie euch bringen. Schickt Mars, Neptun oder Hera. Schickt Herkules oder Axel, aber nicht diese Armee!“

Zeus handelt wie er immer handelt. Selbstsüchtig. Sein Wille ist ein Befehl, seine Träume müssen wahr werden, sein Wunsch muss in Erfüllung gehen.

Zeus hielt seinen Blitzableiter hoch, um die anderen Götter in Angst und Schrecken zu versetzen und sagte mit seiner lauten Stimme:

„Schweigt. Kein Wort. Keiner spricht. So lasst es geschehen. Schickt die Armee der Toten. Holt mir ein paar Kinder und ein paar Frauen aus diesem Gaza. Mein Wunsch ist eine Forderung, und meine Forderungen sind Befehle. Schickt jetzt die Armee der Toten.“

Alle Götter sahen Luzifer wütend an. Sie wollten ihn töten. Aber er wird vom Gott der Götter beschützt.

Luzifer sagte: “Herr, du weißt, dass die Armee der Toten auch Forderungen stellt.“

Zeus: “Was für Forderungen?“

Luzifer: “Niemand darf nach den Mitteln fragen und sie in Frage stellen, die sie einsetzen werden, um euch die Kinder und Frauen zu bringen, und niemand darf sie aufhalten, bis sie selbst soweit sind. Schwörst du, dich daran zu halten?“

Zeus: “Dies ist ein Eid des Zeus, dem Gott der Götter.“

Die Armee der Toten wartete voller Ungeduld und Freude, auf dass Luzifer ihnen die gute Nachricht überbringe. Er verspätete sich nicht und kam mit der frohen Botschaft.

Mit seiner tiefen Stimme sagte Luzifer: “Geht, meine Freunde, erschlagt den Palästinenser mit dem Schwert. Ihr könnt tun, was ihr wollt, unhinterfragt, hört nicht auf, ehe ihr euren Durst mit ihrem Blut gestillt habt.“

Die Armee der Toten wartete nicht auf das Ende seiner Rede. Sie schlugen mit ihren schweren Hämmern, ihren Schwertern und Kugeln, ihren Dolchen und Messern auf die Körper der palästinensischen Kinder und Frauen ein.

Die palästinensischen Männer standen hilflos da, unfähig, etwas anderes zu tun als vor Schmerz und Trauer zu weinen. Genau wie Prometheus in seinen Ketten.

Hunderte und Aberhunderte Kinder und Frauen stiegen zum Thronsaal des Zeus auf. Gruppe um Gruppe.

Zeus schaut sie an. Sie glänzen nicht mehr, haben ihre Schönheit verloren, sind nicht mehr so, wie er sie vom Gipfel des Olymps aus gesehen hat. Sie kommen zerstückelt an, einige sind enthauptet, andere haben keine Arme oder Beine, wieder andere sind in zwei Hälften gespalten. Zeus wird langsam verärgert, denn das ist nicht das, was er wollte.

Die Götter sagten unisono: “Ja, genau das hast du gewollt.”

Zeus: „Ich habe um einige gebeten, um ein paar Kinder und Frauen. Einige heißt drei oder vier, vielleicht zehn, aber nicht Dutzende, Hunderte, Tausende.“

Alle Götter: „Du bekommst, worum du bittest.“

Zeus: „Warum schlachten sie ihre Männer ab? Warum zerstören sie ihre Häuser? Warum fällen sie ihre Bäume? Warum verbrennen sie ihre Felder? Warum töten sie ihr Vieh? Warum entziehen sie ihnen Nahrung und Wasser? Warum?“

Alle Götter: „Du bekommst, worum du bittest.“

Er rief nach Luzifer, aber Luzifer war verschwunden, hatte sich bei der Armee der Toten versteckt. Zeus wurde wütend. Er rief: „Genug! Aber seine laute Stimme wurde von dem Geschrei der Palästinenser und dem Gebrüll der Armee der Toten übertönt. Kinder und Frauen stiegen weiter auf, lichtlos, glanzlos, tot. Der Thronsaal begann sich mit ihren Leichen zu füllen. Der riesige Saal, der alle Götter, Halbgötter, deren Frauen und Kinder und sogar ihre Diener aufnehmen konnte, füllte sich. Er war bis zur Decke mit Leichenbergen gefüllt. Tausende palästinensische Kinder, Tausende palästinensische Frauen, Tausende palästinensische Männer.

Zeus auf seinem Thron war erstaunt, sprachlos, unfähig, seinen Schwur zu brechen. Und als alle Götter ihn traurig und hilflos betrachteten, sahen sie etwas, was sie nie zuvor gesehen hatten: Sie sahen Zeus mit Tränen in den Augen. Tränen des Bedauerns. Tränen des Leids, Tränen der Schwäche. Der Gott der Götter weint über das vergossene Blut, und doch fährt die Armee der Toten fort, das Schwert in das weiche Fleisch der palästinensischen Kinder und Frauen zu stoßen.

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Nr. 38

SCHMETTERLINGSEFEKT 

Gestern hatte ich Glück: Ich konnte einen Sack mit 25 kg Mehl für Brot ergattern (zum fünffachen Preis). Das reicht den 18 Personen zu Hause für zwei Wochen. Ich werde vielleicht sogar, hoffentlich, eine halbe Flasche Gas zum Kochen finden, 6 Kilo, die auch für zehn Tage reichen könnten (ebenfalls das Dreifache des ursprünglichen Preises).

Brennholz ist rar. Der Gazastreifen ist so klein und die landwirtschaftliche Fläche sehr begrenzt; keine Wälder oder Dschungel. Die Menschen haben begonnen, lebende Bäume zu fällen, um damit Feuer zu machen, obwohl frische Bäume nass sind und nicht brennen. Doch die Menschen sind verzweifelt, tun also alles nur Mögliche, um zu überleben. Armes Gaza. Kein Baum wird überleben. Die Olivenbäume werden geschlachtet, die Bäume auf den Straßen sind alle rasiert. Wer kann es Menschen übel nehmen, die keine Alternativen haben?  Hoffnungslose Situationen treiben die Menschen zu verzweifelten Schritten.

Auf dem Heimweg vom Markt auf einem Holzkarren, gezogen von einem armen, schwachen Esel, sah ich einen kleinen, weißen Schmetterling, der mehr als fünf Minuten lang Seite an Seite neben dem Esel herflog. Es war so wunderbar, inmitten dieser Düsternis etwas Schönes zu sehen. Ich musste lächeln, bis ich mich daran erinnerte, dass der weiße Schmetterling in einigen Kulturen ein Zeichen für den nahenden Tod ist. Ich persönlich bin nicht abergläubisch, aber um ehrlich zu sein, ging mir der Gedanke nicht aus dem Kopf.

In der Nacht in Gaza mehr als 500 Menschen getötet, von Nord bis Süd. Die meisten von ihnen waren Kinder und Frauen.

Während ich diesen Artikel schrieb, hörten die heftigen Bombardierungen und der Beschuss um mich herum überhaupt nicht auf. Hunderte von Menschen werden derzeit umgebracht. Vielleicht werden auch ich und meine Familie unter ihnen sein, wer weiß? Alle, die getötet wurden, mehr als 22.000, die in den letzten 55 Tagen ums Leben kamen, wussten vorher nicht, dass sie auf diese brutale Weise umkommen würden.

Armer Schmetterling, ich mache dir überhaupt keinen Vorwurf. Du bist wunderschön. Ich weiß, dass es nicht du bist, oder dein Effekt ist. Ich weiß, dass es die israelische Besatzungsarmee ist, die all diese Menschen erbarmungslos getötet hat.

P.S. Ich mag Schmetterlinge.

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